Die Nacht breitete sich inzwischen über ganz Ventraktor aus, während das lunische Heer um Prinz Jokus zwischenzeitlich zum Stillstand gekommen war. Nur wenige hundert Meter von der ponischen Grenze entfernt hatten die Truppen damit begonnen ein riesiges Lager zu errichten, während unzählige Wachen patrouillierten, um möglichen Überraschungen vorzubeugen. So nahe am Feindgebiet mußte nunmehr jederzeit mit Überraschungsangriffen oder auch mit einem groß angelegten Feldzug des Feindes gerechnet werden, da die Ponier mit Sicherheit längst über die vorrückenden Lunier Bescheid wußten.
Unzählige Feuer brannten im lunischen Lager, die angenehme Wärme und Licht spendeten. Die meisten Krieger schliefen jedoch bereits, um sich auf den nächsten, schweren Tag vorzubereiten, der vor ihnen lag.
Jeder Lunier wußte nur zu genau, was vor ihm lag, nämlich die erste unvermeidliche Schlacht gegen einen unbarmherzigen Feind. Und nun mußte alles dafür getan werden, damit diese erste Schlacht nicht auch gleichzeitig die letzte sein würde…
Der Himmel zeigte sich in dieser lauen Herbstnacht völlig wolkenlos und erlaubte den Blick auf Tausende, hell strahlende Sterne. Auch der Mond leuchtete in voller Größe vom Firmament herab und verbreitete eine Atmosphäre tiefsten Friedens über das schlafende Ventraktor. Dazu lebte ein leichter Wind auf und strich wie eine sanfte Hand über Bäume und Gebüsch. Äste bewegten sich in seinem Spiel, und Blätter rauschten wie die Wogen des Meeres, wenn sie von einer leichten Brandung an den Strand gespült wurden.
Für solche Schönheiten der Natur hatten die drei einsamen Reiter, die auf ihrem Weg durch die hohen Berge von Ponien dahin galoppierten, keinen Sinn. Den Blick stur geradeaus gerichtet holten sie alles aus ihren Pferden und verfolgten in tödlicher Entschlossenheit ihr Ziel, das sie immer tiefer Richtung Westen nach Ponien hineinführte…
Bei den drei Reitern handelte es sich um Affenmenschen aus dem fernen Tornien, die bereits seit längerer Zeit unterwegs waren, auf einer wichtigen Mission für ihren Gebieter Tor, die sie ins Herz von Ponien führen sollte, in die Hauptstadt Pos. Die Tornier waren in dunkle Kapuzenmäntel gekleidet, so daß ihre äußere Gestalt verborgen blieb.
Die grimmigen Reiter hetzten ihre Pferde fast bis zur Erschöpfung, da sie ihr Ziel so bald als irgend möglich erreichen wollten.
Bei den Pferden der Tornier handelte es sich jedoch keineswegs um normale Tiere. Es waren spezielle Züchtungen der Affenmenschen, geschaffen, um große Entfernungen in kürzester Zeit zurückzulegen. So erreichten diese Tiere enorme Geschwindigkeiten und hatten auch große Ausdauer, diese sehr lange Zeit zu halten. Dabei schlugen ihre Hufe Funken am Boden und hinterließen im Dunkel der Nacht eine Spur von Feuer und Rauch. Die Augen der unheimlichen Wesen glühten dazu feuerrot und Rauch quoll beständig aus ihren Nüstern…
Der Anführer der drei unheimlichen Reiter zügelte auf einmal abrupt sein Pferd, und seine beiden Begleiter folgten dem Beispiel sofort.
„Dort“, knurrte der führende Tornier mit dunkler und aggressiver Stimme, die nichts menschliches beinhaltete. „Dort ist es…“
Die drei Affenmenschen hatten am Horizont die im Dunkeln leuchtende Stadt Pos entdeckt, das Ziel ihres langen Rittes. Eingebettet in ein hochgelegenes Tal, war die Stadt durch einen sie völlig umschließenden See geschützt, während hohe Berge ringsherum den Weg hinein zusätzlich erschwerten. Tatsächlich war die Straße von Osten kommend, welcher die Tornier folgten, der einzige Möglichkeit um Pos zu erreichen.
Eine steinerne Brücke, die notfalls zerstört werden konnte, um die Stadt zu schützen, führte über den
See nach Pos hinein. Sie wurde von einer ganzen Kompanie Ponier bewacht, die bei Tag und Nacht ihren Dienst versahen.
Die drei Affenmenschen blickten sich kurz gegenseitig vielsagend an, dann setzten sie ihren einsamen
Ritt durch die Nacht fort. Sie schienen es jetzt noch eiliger zu haben, um endlich den Staub und Dreck
ihres langen Weges hinter sich zu lassen. Und um die wichtige Mission zu erfüllen, zu der sie ausgesandt worden waren. Denn davon konnte viel für den entscheidenden Krieg um Ventraktor abhängen, der nun seinen Anfang nahm…
Das Reich Ponien, die Heimat der Riesen, lag am nordwestlichen Rand von Ventraktor, ein Land, über das in Lunien zu dieser Zeit nicht mehr sehr viel bekannt war. Vor langer Zeit einmal war das anders gewesen, denn alte Geschichten zeugten noch in diesen Tagen davon, daß die Völker von Lunien und Ponien vor langer Zeit einvernehmlich gelebt hatten.
Als ein Volk von Bauern und Handwerkern hatten die Riesen lange in Frieden mit all ihren Nachbarn gelebt und freundschaftliche Beziehungen gepflegt, ganz besonders zu den Luniern. Es hatte darüber hinaus sogar einen stetigen kulturellen Austausch gegeben, von dem beide Völker profitiert hatten. Davon zeugten selbst heute noch die Spuren von Kunst und Handwerk, wo ponische Einflüsse in Lunien noch deutlich erkennbar blieben…
Irgendwann hatte sich all dies jedoch schlagartig geändert, zu jener Zeit, da Tor in die Welt eingefallen war. Eine spürbare Kälte und Dunkelheit hatte sich von diesem Zeitpunkt an rasch über den nördlichen Teil von Ventraktor ausgebreitet, und die Armee des Tyrannen, bestehend aus riesigen Heeren von Affenmenschen, war aufmarschiert.
Da zu jener Zeit keine militärischen Bündnisse mehr zwischen den einzelnen Rassen existent gewesen waren, mit Ausnahme loser Bündnisse zwischen den Zwergen aus Portretanien, den Elfen aus Elbien und den Luniern, blieb jedes Volk zunächst auf sich alleine gestellt, so auch die Ponier. Doch wie bereits die Gnomier vor ihnen, wurden auch die Riesen schließlich nach langem, zermürbenden Kampf von Tor unterjocht und zum Bündnis gezwungen. Korruption sowie die Gier nach Reichtum und Macht innerhalb Poniens hatten ein Übriges dazu beigetragen.
So war es also geschehen, daß sich ein lange Zeit friedliches und offenes Volk innerhalb kürzester Zeit völlig verändert und sich gänzlich dem dunklen Tyrannen Tor und seiner Macht verschrieben hatte. Seither waren die Ponier auch zunehmend in Grenzkonflikte mit Lunien und Elbien verstrickt gewesen, in blutigen und verlustreichen Auseinandersetzungen…
Den Poniern war ihre Verwandtschaft zu den Menschen deutlich anzusehen. Sie unterschieden sich von den Luniern nur durch ihre Körpermaße, da sie an Größe zwischen zwei und drei Metern im Durchmesser betrugen und entsprechend breiter wie auch muskulöser waren als die Menschen aus Lunien. Außerdem besaßen sie eine höhere, wulstige Stirn und tiefer liegende Augen, die von buschigen Augenbrauen fast verdeckt wurden.
Die Kleidung der Ponier blieb auch in diesen Tagen wie von jeher sehr einfach gehalten und bestand allgemein nur aus zusammengenähten Fellen. Allein höherrangige Riesen trugen Seidengewänder mit gelben Umhängen…
Die ganze Kultur der Ponier hatte sich inzwischen stark verändert. Ackerbau und Viehzucht blieben ebenso die Ausnahme wie jegliches Handwerk, da die meisten Riesen ihrem Reich nunmehr als Krieger dienten, immer bereit zu einer Auseinandersetzung mit dem Feind, wenn Tor den entsprechenden Befehl dazu gab.
Was sie zum Leben brauchten beschafften die Ponier sich durch Raub und größere Beutezüge, zumeist im direkt angrenzenden Reich der Elfen. Ansonsten feierten die Riesen im eigenen Land lieber große Feste und wüste Orgien und gaben sich dabei ungeniert den Freuden des Alkohols hin, den sie in früherer Zeit verschmäht hatten.
Aus diesem Grund waren die Ponier im Laufe der Zeit mehr und mehr zu wilden, gefühllosen Barbaren verkommen und warteten, wie die restlichen Verbündeten des Tyrannen Tor, nur begierig darauf, daß der letzte Krieg der Rassen schließlich beginnen würde.
Der lang erwartete, letzte Feldzug stand noch aus, welcher endlich ganz Ventraktor mit allen Völkern
unterjochen sollte. Und die Ponier hofften, nach einem Sieg weiteres Territorium in Besitz nehmen zu können, um den eigenen Machtbereich zu erweitern. Denn diese Zusage war ihnen von Tor einst gegeben worden…
Die Hauptstadt der Riesen, Pos genannt, war ein deutliches Zeichen für das neue, gewandelte Ponien. Die Riesen liebten nunmehr Reichtum und Prunk und übertrafen sich gegenseitig im Anhäufen der zumeist erbeuteten Schätze.
Äußerlich bescheiden lebten die Ponier in Steinhäusern verschiedenster Bauweisen, die im Inneren geradezu vor Reichtum protzten. Gold, Silber und Edelsteine kleideten dort alle Wände und kein Riese konnte genug davon besitzen…
Etwas außerhalb der Stadt Pos, auf einer Insel gelegen, befand sich die Burg von Gus, dem König von Ponien. Dort lebte und regierte er mit eiserner Hand über sein Volk, immer danach strebend, Macht und Reichtum zu mehren und dabei vor allem Tor zu gefallen. Wie schon seine Vorgänger war Gus dem Tyrannen treu ergeben.
Die Burg von König Gus war äußerlich ein nackter Steinbau, der nicht viel hermachte, eine Konstruktion von Mauern, Häusern und Türmen ohne jegliche Verzierungen. Genau wie in der Stadt, so war auch hier der Prunk im Inneren zu finden, in den Wohnhäusern, ebenso wie im Thronsaal und den anderen Residenzräumen, die Gus nutzte.
Alle Räume und Saale wurden von Schätzen und Kunstgegenständen verschiedenster Art geradezu überhäuft. Außerdem zierten Statuen und Plastiken die Räume, dazu noch Bilder mit unterschiedlichen Motiven die Wände.
Im Thronsaal des Herrschers stand am hinteren Ende des Saales ein hoher Thron aus Marmor, in den goldene und silberne Ornamente eingearbeitet waren. Innenwände, Böden und Decken des Saales bestanden ebenfalls aus Marmor…
König Gus war der mächtigste und grausamste aller ponischen Könige, der seit dem Bündnis mit Tor an die Macht gekommen war. Wer immer auch seinen Plänen im Wege gestanden hatte, war eiskalt beseitigt worden. So hatte der tyrannische Herrscher jeder Widerstand gegen seinen Willen stets bereits im Keim erstickt. In diesen Tagen wagte in Ponien niemand mehr, sich dem Herrscher zu widersetzen, denn dieser regierte absolut.
Gus wußte, wie sehr Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit sein Ansehen in Tor´s Augen hatten steigen lassen und er gedachte, dieses Potential noch zu auszuweiten. Denn wenn der große Krieg der Rassen begann, dann würde das ponische Volk an vorderster Front kämpfen und die Feinde reihenweise in die Flucht schlagen.
Tor würde eines Tages ganz Ventraktor besitzen, dessen war sich der ponische König vollauf bewußt. Und wenn es endlich soweit war, dann wollte Gus auf der Seite des Siegers stehen und ein großes Stück des Triumphes mittragen…
Gerade hatte König Gus in der üblich arroganten und überheblichen Weise auf seinem Thron Platz genommen, gekleidet in feinste seidene Gewänder und einen roten Umhang. Dazu trug der Regent eine goldene Krone auf dem Haupt.
Links und rechts an den Wänden des Saales standen beständig mit Schwertern und Lanzen bewaffnete Wächter postiert, die regungslos, und beinahe sogar leblosen Statuen gleich, ihren Dienst für den Regenten versahen.
Sichtlich zufriedenen Blickes und die Arme weit auf den Lehnen seines Thrones ausgestreckt, empfing der Herrscher gerade eine Delegation von Gouverneuren aus verschiedenen Provinzen seines Reiches. Diese Ponier huldigten ihrem König und überbrachten Abgaben des Volkes, wie es zu allen Zeiten in Ponien Brauch gewesen war. Uns so demonstrierte der ponische Regent seine absolute Macht…
Als die Zeremonie, da die Gouverneure den fälligen Tribut zollten, gerade in vollem Gange war, wurde auf einmal das große Portal zum Thronsaal geöffnet und ein Ponier im Range eines Offiziers trat ein. Der Krieger wartete zunächst geduldig im Hintergrund ab, bis Gus die Zeremonie unterbrach und ihn zu sich rief.
Solche Überraschungen liebte der absolute Herrscher von Ponien gar nicht, doch er ahnte, daß ein gewichtiger Grund vorliegen mußte. Denn grundlos würde keiner seiner Untergebenen wagen, den König zu stören.
Gus funkelte den Offizier böse an.
„Was habt ihr zu berichten?“
Der Ponier verneigte sich zunächst tief vor seinem Gebieter, um dann mit auf die Brust gelegter Faust entschlossen zu antworten.
„Herr, ich muß berichten“, begann der Ponier mit fester Stimme, „daß soeben drei Gesandte unseres Herrschers Tor in der Burg eingetroffen sind! Sie warten in einem Vorraum auf eine Audienz und bekunden, daß sie eine wichtige Botschaft zu überbringen haben! Ich habe sie in eurem Namen um Geduld gebeten, doch sie wollen nicht warten! Die Tornier bestehen darauf, sofort von euch empfangen zu werden!“
König Gus zeigte sich wenig erfreut darüber, unverhofften tornischen Besuch zu erhalten. Wenn es jemanden gab, den er mehr haßte, als die verfeindeten Völker auf Ventraktor, dann waren es die Tornier. Denn der Regent wußte, daß sie Tor’s ureigen erschaffenes Volk waren und entsprechend hoch in dessen Gunst standen.
Nur widerwillig befahl der König seinem Offizier, die Tornier hereinzuführen. Der ponische Offizier verneigte sich tief und verließ dann schnellen Schrittes den Thronsaal. Gus aber bedeutete seinen Untergebenen beiseite zu treten, um dann mit zwiespältigen Gefühlen abzuwarten, wer ihm noch so spät die unwillkommene Ehre eines Besuches erwies. Auf jeden Fall gedachte der ponische Herrscher, die Tornier so rasch als irgend möglich wieder loszuwerden…
Die drei tornischen Repräsentanten betraten energischen Schrittes den Thronsaal des ponischen Königs, als sich dessen Augen auch schon beinahe unmerklich weiteten. Und wie automatisch atmete der tyrannische Regent einmal tief durch, denn diese böse Überraschung hatte er nun wirklich nicht erwartet gehabt.
Bei den zwei vorausmarschierenden Torniern handelte es sich um Tet und Tetis, zwei führende Generäle der tornischen Armee. Sie liefen an den versammelten Poniern vorbei, ohne diese auch nur eines Blickes zu würdigen, um schließlich rechts und links neben den Thron von König Gus Aufstellung zu nehmen. Die Gesichter der beiden furchteinflößenden Tornier ließen dabei nicht einmal die geringste Gefühlsregung erkennen.
Schließlich trat auch noch der dritte Affenmensch vor und nahm er die Kapuze ab, um endlich sein Gesicht zu entblößen.
Gus erschrak für einen Moment fast unmerklich, als er den späten Gast erkannte. Denn es handelte sich dabei um Admiral Tot, den Heerführer Torniens. Dieser stellte auch gleichzeitig Tor`s rechte Hand und hielt den höchsten Posten in dessen Reich, nach dem dunklen Herrscher selbst. Somit war Tot der erbittertste Konkurrent von Gus um die begehrte Machtposition nach Tor.
Der ponische König schluckte seinen Groll hinunter und setzte sein ergebenstes Lächeln auf, zu dem er fähig war. Gus wußte, daß hier weder Ort, noch Zeit waren, um einen Konflikt auszutragen, doch dieser Tag würde kommen. Im Moment saß Tot am längeren Hebel, doch dies konnte sich ganz schnell ändern.
Tor stand nicht uneingeschränkt zu seinen Untertanen. Er schätzte jene, welche sich selbst ihren Weg an die Macht mit List und Verschlagenheit schufen. Und genau das hatte Gus vor, wenn die Zeit dafür schließlich reif war. An diesem ersehnten Tag würde er Admiral tot endlich beseitigen…
Die drei Affenmenschen reagierten nicht auf das gespielt freundliche Lächeln des ponischen Königs, denn sie wußten diesen inzwischen einzuschätzen. Außerdem zeigten Tornier niemals Gefühle, und viele Stimmen munkelten, daß sie gar keine besaßen. Doch gerade dieser Charakterzug machte sie zum auserwählten Volk des Tyrannen Tor.
Gus begrüßte seine späten Besucher mit freundlicher Stimme. Doch unüberhörbar schwangen auch Spott und Ironie darin mit.
„Ich heiße euch in meinem bescheidenen Palast willkommen, Abgesandte unseres verehrten, großen Herrschers“, heuchelte der ponische König scheinbar liebenswürdig. „Es ist schon spät und ihr habt einen langen Weg hinter euch. Vielleicht wollt ihr erst noch ruhen, bevor ihr bekundet, was euch zu mir führt…?“
König Gus hatte sich vor Heuchelei fast überschlagen, doch die Tornier verzogen auch daraufhin keine Mine. Sie standen weiterhin regungslos da, wohl wissend, daß sie es waren, die im Augenblick alle Trümpfe in der Händen hielten.
Auf einmal trat Tot noch einen Schritt vor. Mit tiefer und emotionsloser Stimme begann der Tornier zu sprechen.
„Wir überbringen euch eine persönliche Botschaft unseres gemeinsamen Herrschers Tor“, begann der tornische Heerführer trocken, ohne im Geringsten auf die Kommentare seines Gegenübers einzugehen. „Er hat verfügt, daß das gesamte ponische Volk augenblicklich in Kriegszustand zu versetzen ist! Die entscheidende Phase unseres Kampfes gegen die Feinde Tor’s hat nun begonnen, und der Tag der Erfüllung rückt für uns alle näher. General Tetis!“
Der angesprochene Tornier trat vor und ergriff mit ebenso tonloser, tiefen Stimme das Wort, ohne die geringste Emotion erkennen zu lassen.
„Das lunische Volk hat wie bereits von unserem großen Herrscher vorausgesehen sein Land verlassen, um, aufgeteilt in zwei Armeen, durch Ventraktor zu ziehen und sich mit den anderen Völkern gegen uns zu vereinigen“, erklärte der finstere General völlig emotionslos. „Der größere Teil ihres Heeres ist nach Norden gereist, mit dem Ziel, über Ponien schließlich nach Elbien und Portretanien zu gelangen. Ein anderer Weg bleibt ihnen durch den großen Graben von Lunien verwehrt.“
Der General deutete unmißverständlich mit den Fingern auf den ponischen König, als er die Ansprache fortsetzte.
„Dieses Vorhaben zu verhindern ist nun eure Aufgabe, denn es ist der ausdrückliche Befehl von Tor, daß die Lunier ihr Ziel niemals erreichen dürfen! Weitere Instruktionen dazu werden zu gegebener Zeit erfolgen!“
Nachdem General Tetis seinen Bericht abgeschlossen hatte und wieder zurücktrat, war es abermals Tot, der sich an König Gus wandte. Und die Stimme des tornischen Heerführers klang auf einmal noch ein wenig düsterer als zuvor.
„Ich möchte euch eindringlich warnen, König Gus“, spielte Tot seine Überlegenheit unmißverständlich aus, „seid auf der Hut! Tor duldet kein Versagen in seinem Reich, deshalb steht oder fällt euer Kopf mit dem Gelingen oder Scheitern dieses so bedeutenden Unternehmens! Ich hoffe sehr, wir verstehen uns richtig! Denn ihr wärt beileibe nicht der erste Herrscher, den Tor eines Mißerfolges wegen ersetzen müßte…“
Der ponische König trug sichtliche Mühe, nach diesen so herausfordernden Worten seinen Zorn in Zaum zu halten, doch schließlich, nur das ersehnte und höhere Ziel vor Augen, gelang es ihm. Der ponische Herrscher verzog das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen und antwortete mit betont selbstsicherer Stimme.
„Wir wissen längst Bescheid über das Vorhaben der Lunier und sind auf ihr Kommen bestens vorbereitet“, gab der Regent verächtlich zurück. „Und wir werden diese Narren gebührend empfangen, dessen könnt ihr gewiß sein!“
Das Grinsen im Gesicht des Königs nahm auf einmal deutlich spöttische Züge an, da Gus seine Fassung zurückgewonnen hatte.
„Richtet dem großen Herrscher von mir aus, daß kein Lunier Ponien lebend verlassen wird und daß ich ihm schließlich den Kopf des feindlichen Anführers höchstpersönlich auf einem Silbertablett überbringen werde!“
Der letzte der drei Tornier, General Tet, der sich bisher schweigend im Hintergrund gehalten hatte, ergriff nun das Wort, nachdem er vor den Thron des trotz allem so überaus selbstsicheren Königs getreten war.
„Ich bin von unserem Herrscher persönlich dazu beauftragt worden“, erklärte der tornische General, „in der kommenden Schlacht an eurer Seite zu stehen, um diese zu überwachen, König Gus! Ihr behaltet vorerst den Oberbefehl über eure Truppen, doch gegebenenfalls ist meinen Anordnungen bedingungslos Folge zu leisten! Später werde ich dann Tor den entsprechenden Bericht zukommen lassen!“
Gus glaubte, sich endgültig verhört zu haben, und auf einmal vermochte er seinen Ärger nicht mehr länger in Zaum zu halten.
Der ponische König wollte energisch aufbegehren, doch General Tet hob schnell die Hand und fuhr dazwischen.
„Seid ihr etwa unzufrieden mit den Wünschen unseres Herrschers, König Gus“, fragte Tet mit drohendem Unterton. „Wenn ihr Beschwerden gegen seine Befehle vorzubringen habt, dann müßt ihr diese selbst vor Tor tragen. Und er wird euer Amt danach mit Freuden an jeden anderen willigen Ponier weiterreichen, die dafür schon scharenweise bereitstehen. Gibt es also tatsächlich irgendwelche Einwände, dann äußert diese nun!“
Endlich gewann König Gus seine Beherrschung zurück und schluckte den Ärger hinunter. Er sah ein, daß er im Moment nichts ausrichten konnte, da es nur Befehlen zu folgen galt, die der dunkle Herrscher ausgesprochen hatte.
Was diese drei überheblichen Tornier betraf, so würde eine andere Gelegenheit kommen, um mit ihnen abzurechnen. Und auf diesen Tag freute der ponische König sich jetzt schon. Für den Moment gab sich Gus jedoch mit leiser Stimme geschlagen.
„Ich bin mit den Wünschen unseres Herrschers einverstanden“, bekundete der Regent deutlich kleinlaut, „er kann sich wie immer ganz auf mich verlassen! Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen müßte…?“
General Tetis meldete sich wieder zu Wort.
„Nun, wie euch sicherlich bekannt ist König Gus“, befand der tornische General, „stehen die Lunier bereits an der ponischen Grenze und werden mit dem morgigen Tage in das Land einfallen! Deswegen muß das ponische Heer sofort aufbrechen, um sich der Bedrohung mit aller Macht entgegen zu werfen! Tor erwartet nur den Sieg! Und während General Tet hier verweilen wird, reisen Heerführer Tot und ich wieder nach Tornien zurück.“
Gus erhob sich schließlich von seinem Thron und zeigte das grimmigste Gesicht, zu dem er fähig war. Und dieses Mal sprach er nicht mit unterschwelliger Stimme, seine Worte hallten polternd durch den ganzen Saal.
„Das ponische Heer befindet sich bereits auf dem Marsch und wird rechtzeitig zum Empfang der Lunier bereitstehen“, verkündete Gus. „Und noch der morgige Tag wird Tor einen großen Sieg seiner treusten Verbündeten bescheren!“
Tot und Tetis nickten dem ponischen König zur Antwort nur einmal knapp zu, danach wandten sie sich ab und verließen eilig den Thronsaal. Sie wollten keinen Augenblick länger verweilen, als unbedingt notwendig…
General Tet war allein bei König Gus zurückgeblieben und hatte mit ausdruckslosem Gesicht links neben dessen Thron Aufstellung genommen. Dort verharrte der Tornier völlig regungslos und beobachtet die weiteren Vorgänge im Thronsaal.
Der ponische Regent saß sichtlich gedemütigt, aber trotz der gegebenen Umstände erstaunlich ruhig auf seinem Thron. Im Moment mochten außer Tor noch andere über ihn bestimmen, doch schon am kommenden Tag, durch einen entscheidenden Sieg über die Lunier, konnten die Karten in diesem Spiel ganz neu gemischt werden.
Genau auf diese Schlacht gegen seine verhaßten Feinde aus dem Menschenreich Lunien baute Gus alle Hoffnungen. Und er wußte natürlich genau, wie immens wichtig es war, bei dieser Machtprobe nicht zu versagen. Seine gesamte Existenz hing nunmehr davon ab, dem tornischen Herrscher einen bedeutenden Sieg einzufahren.
Der ponische König entließ seine versammelten Würdenträger, ohne die begonnene Zeremonie zu beenden, und er berief dagegen den Kriegsrat ein. Gus ließ alle Generäle antreten, um die Strategie gegen die vorrückenden Lunier noch einmal genau zu erörtern. Natürlich blieb auch General Tet bei dieser Besprechung anwesend, doch das störte den König nicht. Sollte der Tornier ruhig alles mitanhören, was geplant wurde.
Am Ende würde der General Tor nur eines zu berichten haben, nämlich von dem großen Sieg der Ponier über die Lunier. Gus würde die Feinde besiegen und ihr Heer vom Angesicht dieser Welt tilgen. Die Lunier sollten schließlich nur noch eine böse Erinnerung vergangener Tage sein, die mit der Zeit verblaßte. Auf diesen Tag seiner Erfüllung hatte Gus sich schon so lange gefreut. Und endlich war er herbeigekommen…
In dem lunischen Lager, nahe der Grenze zu Ponien, war endgültig Ruhe eingekehrt, als sich auch noch die letzten Krieger schlafen gelegt hatten, abgesehen von den Wächtern rund um das Lager. Diese versahen unermüdlich ihren Dienst.
Allein Jokus wachte ebenfalls noch an einem der vielen Lagerfeuer, während seine beiden Freunde Vertus und Tetrus friedlich in der Nähe schliefen. Jokus beneidete die beiden ein wenig, denn er vermochte in dieser Nacht keinen Schlaf zu finden. So viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf und ließen ihn keine Ruhe finden. Sorgen lasteten auf seinen unerfahrenen Schultern, da Jokus zum ersten Mal ein lunisches Heer selbst in den Krieg führte.
Natürlich hatte auch der Prinz schon an Kämpfen teilgenommen, an kleineren Scharmützeln und Grenzkonflikten eben, niemals aber an einer solchen Schlacht, wie sie dem großen lunischen Heer jetzt bevorstand.
Der lunische Heerführer gestand sich in seinem Innersten ein, daß er Angst hatte, doch natürlich vertraute er diese Gefühle niemandem an. Sogar vor Quorus und seinem eigenen Vater hatte Jokus sie im tiefsten Herzen verborgen gehalten, damit beide diese Schwäche des lunischen Prinzen nicht sehen sollten.
Nur Vertus und Tetrus ahnten die Wahrheit bestimmt, doch es gab auch in ganz Lunien niemanden, der Jokus besser kannte als die beiden…
Jokus verdrängte die beunruhigenden Gedanken und konzentrierte sich wieder ganz auf die Mission. Er hatte sich eine Strategie für diesen Feldzug ausgedacht und diese bereits mit seinen Generälen besprochen. Der Prinz hatte daraufhin breite Zustimmung erfahren, und die Armee würde den Plan beim Einzug nach Ponien in die Tat umsetzen.
Die Lunier würden somit in einer geschlossenen Formation, in Sechserreihen marschierend, nach Ponien einrücken. Die Reiter sollten dabei die Vor- und Nachhut bilden, wobei Späher das Terrain erkundeten, welches das Heer durchquerte. So wollte man schließlich ohne böse Überraschungen auf die Ponier treffen und sich ihnen zum Kampf stellen.
Jokus seufzte tief beim Gedanken an die kurz bevorstehende Schlacht. Eine schwere Prüfung wartete auf ihn, die es zu bestehen galt. Er mußte sein Heer zum Ziel führen, was es auch kostete, und welche Hindernisse dabei auch immer im Wege stehen mochten. Jokus durfte einfach nicht versagen, denn so vieles hing nun davon ab.
Und doch waren da in seinem Innersten auch leise Zweifel zu hören, die der lunische Prinz einfach nicht los wurde…
Irgendwann, mitten in der Nacht, erwachte Tetrus und bemerkte, daß Jokus immer noch ruhelos am Feuer saß. Daraufhin gesellte Tetrus sich zu seinem Freund, um ihm ein wenig Gesellschaft zu leisten, die Jokus nicht ablehnte.
Die beiden Männer unterhielten sich mit leiser Stimme, um die schlafenden Lunier ringsherum nicht zu stören.
Tetrus musterte den Freund skeptisch.
„Nun, Jokus, wie mir scheint, quälen dich auch weiterhin Sorgen, die noch weit über jene von uns anderen hinausgehen“, offenbarte der lunische Krieger seine ehrlichen Gedanken. „Ich habe das ja schon eine ganze Weile gespürt, aber es war nie der richtige Zeitpunkt, dich danach zu fragen. Doch erst die seltsame Sache mit deinem Vater, und jetzt die Angst, daß die Bürde zu groß ist, diesem lunischen Heer vorzustehen und einen ebenso bedeutsamen wie schwierigen Sieg erringen zu müssen. Ist es nicht so…?“
Jokus mußte unweigerlich lächeln, obgleich ihm eigentlich gar nicht danach zumute war. Was er geahnt hatte, bewahrheitete sich, natürlich konnte er seinen besten Freunden nichts vormachen, die er bereits von Kindesbeinen an kannte. Zusammen waren sie aufgewachsen und hatten so viel erlebt, Freude und Leid, um schließlich zu Männern heranzureifen.
Jokus hatte keine leiblichen Geschwister. Doch Vertus und Tetrus liebte er wie Brüder und er wußte, daß es umgekehrt genauso war. Nichts hatte diese tiefe Freundschaft je zerstören können und das sollte auch immer so bleiben.
Jokus holte tief Luft, bevor er antwortete. Dabei sah er dem besorgten Freund beruhigend lächelnd in die Augen.
„Mein guter, alter Tetrus, wie könnte ich dich wohl jemals täuschen“, kommentierte Jokus die Gedanken seines Gefährten. „In der Tat trage ich große Sorgen, die auszusprechen mir jedoch schwerfällt. Aber ich denke, wenn überhaupt, dann kann ich es dir leichter anvertrauen, als irgend jemandem sonst…“
Jokus seufzt kurz, dann fuhr er mit leiser Stimme fort. Er überwand allen Widerstand und öffnete endlich sein Herz.
„Was du vermutest ist richtig“, bekannte der Thronfolger offen, „es ist wirklich die Verantwortung, welche ich auf meinen Schultern trage, Tetrus. Sie belastet mich mehr, als ich mir dies zuerst selbst eingestehen wollte. Ich habe einfach große Angst davor, jetzt, da endlich die Entscheidung naht, zu versagen. Sowohl für Lunien, als auch unsere ganze Welt naht nunmehr die Stunde der Wahrheit, und ich spiele eine entscheidende Rolle.“
Jokus senkte traurig seinen Blick, während sein Freund ihm aufmunternd die Hand auf die Schulter legte. Tetrus verstand sehr gut, was jetzt in seinem Freund vor sich ging. Und er hatte mit seiner stillen Ahnung recht behalten.
„Ich kann deine Angst gut verstehen, Jokus, denn wir alle teilen sie“, versuchte Tetrus dem Prinzen Mut zuzusprechen. „Aber wir dürfen uns von ihr keinesfalls verunsichern lassen, sondern wir müssen, im Gegenteil, versuchen, sie so gut als möglich zu kontrollieren. Furcht darf niemals Herr über uns werden, denn wir haben tatsächlich eine so große Aufgabe zu erfüllen. Und nichts darf dieses Ziel gefährden!“
Jokus nickte mit dem Kopf.
„Das sagt sich so leicht, Tetrus, aber diese Tatsachen ändern leider gar nichts in meinen Gefühlen“, offenbarte Jokusbedrückt. „Ich habe ziemlich zu kämpfen, um die Angst in mir nur einigermaßen klein zu halten. Denn immer wieder aufs Neue versucht sie mit Macht nach oben zu drängen, um mich ins Chaos zu stürzen…“
Tetrus legte Jokus die Hand auf die Schulter.
„Nun, immerhin stehst du da nicht alleine, mein Freund“, sprach Tetrus dem Gefährten zu, „denn was immer auch geschieht, Vertus und ich sind bei dir! Wir werden dich nie im Stich lassen und an deiner Seite bis zum letzten Atemzug kämpfen!“
Jokus sah auf, direkt in die vor Zuversicht strahlenden Augen seines treuen Freundes. Tief bewegt von dessen Worten begann er zu lächeln.
„Was auch immer geschieht, ich weiß, Tetrus“, wiederholte Jokus, „denn so haben wir drei es uns einmal geschworen, vor ewig langer Zeit, wie mir heute scheinen will. Damals waren wir fast noch Kinder und haben nicht geahnt, was uns später einmal erwarten sollte. Welch unbeschwerte Tage wir doch einst miteinander durchlebt haben…“
Jokus erinnerte sich noch gut an die fernen Kindertage, da eine solch gute und tiefe Freundschaft für die Ewigkeit entstanden war.
„Was auch geschieht, immer zusammen! Alle für einen und einer für alle“, resümierte Jokus noch einmal den Satz, welchen die drei Gefährten damals geschworen hatten. „Dies waren unsere Worte, ich habe sie nicht vergessen. Und glaube mir, sie bedeuten mir so viel, mehr als ich sagen kann, und gerade in diesen Tagen…“
Tetrus nickte ernst mit dem Haupt.
„Na, das will ich aber auch hoffen, Jokus!“
Tetrus blickte seinem Gefährten beschwörend tief in die Augen.
„Wir haben stets alles gemeinsam bewältigt, und dies hört hier, vor dieser schweren Prüfung, ganz bestimmt nicht auf“, sagte Tetrus entschlossen. „Und sei es auch am Ende die Hölle, wir gehen zusammen da durch!“
Jokus senkte einmal mehr sein Haupt, als er sich an andere, schwerwiegende Worte erinnerte, stärker lastetend als der Bund der Freundschaft. Worte, die über alles andere hinausgingen und ihn zum einsamsten Menschen auf Ventraktor machten.
Der Prinz schüttelte schließlich seufzend den Kopf.
„Das ist alles schön und gut, Tetrus, aber etwas hast du bei all dem doch vergessen“, sprach der lunische Prinz leise. „Es gibt nun einmal Dinge, die selbst über die beste Freundschaft hinausreichen, denn Gesetze und Weissagungen erwarten hier ihre Erfüllung. Erinnerst du dich etwa nicht mehr an meine Bestimmung, die Quorus uns vor langer Zeit enthüllt hat? Und die schon Bestand hatte, bevor ich überhaupt geboren war? Vor dieser Prophezeiung endet unser Schwur, weil ich am Ende ganz alleine stehen muß…“
Tetrus erwiderte zunächst nichts, sondern schwieg nachdenklich. Doch schließlich sprach er aus, was er lange Zeit verdrängt hatte, weil ihm die schwerwiegenden Worte des alten Magiers so unbegreiflich in den Ohren klangen.
„Du sprichst von dem dunklen Herrscher selbst, der am Ende zum Zweikampf gefordert werden muß, Jokus“, führte der Lunier die Ausführungen seines Freundes fort. „Ich meine, diesen persönlichen Kampf gegen ihn…“
Jokus starrte wieder mit ausdruckslosen Augen zu Boden, während er eine völlig tonlose Antwort formulierte.
„Genau diesen, Tetrus“, bestätigte der lunische Prinz. „Und dorthin kann mir keiner folgen, denn die Weissagung enthüllt, daß ich Tor dereinst selbst von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen muß, um den letzen Kampf zu schlagen. Ich alleine gegen den mächtigen Herrn der Finsternis, welcher die dunkle Kraft so vollkommen beherrscht. Klingt das nicht auch in deinen Ohren irgendwie sonderbar? Was könnte wohl jemand wie ich alleine gegen Tor ausrichten können? Weißt du, wie oft ich mich diese Frage schon gestellt habe, ohne je eine Antwort zu finden…?“
Tetrus nickte verständnisvoll mit dem Kopf. Er wußte auch keine Antwort, die Jokus irgendwie hätte weiterhelfen können.
Tetrus zuckte mit den Achseln.
„Ich wünschte wirklich, ich könnte dir da helfen, mein Freund“, sagte Tetrus leise, „aber das steht außerhalb unserer Macht!“
Tetrus legte dem Freund die Hand auf die Schulter.
„Ich kann dir jetzt nur eines dazu sagen, mein Freund“, sprach der Lunier in gehobenem, beschwörendem Tonfall, „nämlich daß wir wissen nicht, wer diese Prophezeiung einst ersonnen hat, sondern nur, daß sie bereits seit Urzeiten steht. Doch wer immer es auch war, ob ein weiser Mensch oder gar einer unserer Götter, derjenige wußte ganz bestimmt, wovon er sprach. Wir müssen einfach darauf vertrauen, daß diese Weissagung einen tieferen Sinn trägt und es im Moment mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als das, was wir zu sehen vermögen!“
Tetrus nickte zuversichtlich mit dem Kopf.
„Wenn du der Auserwählte bist, um gegen Tor zu kämpfen“, meinte Tetrus, „und ich hege nicht den geringsten Zweifel daran, dann glaube an dich! Du kannst gegen den Tyrannen bestehen, da bin ich mir wirklich sicher! Frag mich nicht nach den Gründen, es ist einfach nur so ein mächtiges Gefühl. Noch wissen wir nicht, wie es dir gelingen kann, aber vielleicht dient dir eben gerade diese Reise dazu, diesen Weg zu finden. Ich für meinen Teil halte jedenfalls daran fest, denn ich glaube ganz fest an dich!“
Jokus fiel es schwer, seinem Freund etwas auf dessen anrührende Worte hin zu erwidern. Er blickte Tetrus erst einmal tief ergriffen lange an und legte ihm dann die Hand auf die Schulter. Mit stockender Stimme begann der Prinz zu sprechen.
„Was soll ich dazu sagen, Tetrus“, fragte Jokus kleinlaut. „Du scheinst im Augenblick mehr Vertrauen als ich selbst in dir zu tragen. Doch ich sollte mir wahrlich ein Beispiel daran nehmen, denn schließlich bin ich der Prinz von Lunien und Auserwählter aller Völker im Kampf gegen Tor! Das muß in der Tat irgendeinen Sinn ergeben. Und du hast recht, bestimmt werde ich diesen Sinn auf meinem Weg ergründen können.“
Tetrus nickte zustimmend mit seinem Haupt.
„Ganz bestimmt, Jokus“, bestätigte der Lunier. „Doch dabei sollten wir es vorerst bewenden lassen, meinst du nicht? Weitere Grübeleien ergeben einfach keinen Sinn, sie werden uns nicht weiterhelfen. Nehmen wir die Dinge lieber so, wie sie kommen. Und vor allem, schlafen wir noch ein wenig, solange noch Gelegenheit dazu besteht. Denn morgen erwartet uns ein harter Tag, wie du weißt. Versuche wenigstens, dich noch ein bißchen zu entspannen, weil du morgen all deine Kraft und Konzentration brauchen wirst!“
Auf einmal begann Jokus wie aufs Stichwort zu gähnen, als ihn tiefe Müdigkeit überkam. Und jetzt ließ er diese auch endlich gewähren, als der Verstand obsiegte, denn der Prinz brauchte seinen Schlaf tatsächlich.
„In Ordnung, Tetrus, ich werde mich hinlegen“, versprach Jokus lächelnd. „Und ich danke dir für deinen Rat, denn er hat mir geholfen. Er hat mir immer geholfen, so oft du ihn mir auch gabst. Eines Tages werde ich dir hoffentlich einmal noch richtig dafür danken können, mein Freund…“
Tetrus lachte geschmeichelt. Dann wünschte er seinem Freund eine gute Nacht und legte sich schlafen. Jokus folgte dem Beispiel sofort.
Es dauerte schließlich gar nicht lange, bis der lunische Prinz genau wie Tetrus im Reich der wunderbaren Träume weilte…
Ein neuer Morgen erwachte auf Ventraktor. Der Tag kündigte strahlenden Sonnenschein an und der wolkenlose Himmel zeigte, daß es warm werden sollte. Selbst die Wolkenfelder in den nördlichen Regionen, vom düsteren Reich Tornien einmal abgesehen, hatten sich wieder verzogen.
Überall sangen bereits bunte Vögel ihre fröhlichen Lieder, während sie in der Luft umherflogen, und auch anderes Getier wagte sich nach dem Dunkel der Nacht wieder mutig in den neuen Tag hinein.
Neben der Tierwelt begrüßten auch die verschiedene Pflanzenarten den neuen Tag, bemüht darum zu wetteifern, ihre Hälse möglichst hoch dem Himmel entgegenzurecken, um so den besten Platz im Sonnenlicht zu ergattern.
Es war ein friedvoller neuer Tag, an dem die ganze Natur in Eintracht der Dinge zu harren schien, die kommen sollten…
Auch in das lunische Lager an der Grenze zu Ponien war das Leben zurückgekehrt, denn das Heer bereitete sich schon für den Aufbruch und Einmarsch in das Land der feindlichen Ponier vor. Die Lunier begannen alsbald damit, ihr Nachtlager abzubrechen und die noch glimmenden Feuerstellen endgültig zu löschen.
Die Krieger arbeiteten schnell und entschlossen, da sie früh losmarschieren wollten, solange der Tag noch jung und die Temperatur angenehm war…
Das Heer um König Jok lagerte noch immer am Fluß Gom, im nunmehr wieder friedlichen Land Hesk, dessen Gesicht sich über Nacht wie von Geisterhand gänzlich verändert hatte. Denn mit Hes war auch das von ihr erschaffene düstere Reich verschwunden, der modrige Sumpf und die ganze Atmosphäre des Bösen. Statt dessen war Hesk nun eine einzige Ebene voller blühender Bäume und bunter Pflanzen und nichts erinnerte mehr daran, was das Land am Tag zuvor noch dargestellt hatte. Für die Lunier stellte diese Tatsache ein weiteres unfaßbares Wunder.
Die ganze Nacht war ohne jegliche Zwischenfälle verlaufen und Jok und Quorus erwarteten auch vorerst keine weiteren mehr. So war den Mannen um den lunischen König eine ruhige Nacht der Erholung von allen Strapazen und dem Leid vergönnt gewesen, welches die erste größere Schlacht seit so vielen Jahren über sie gebracht hatte.
Ein Teil der Männer bereitete schon die Weiterreise vor, doch der große Rest des Heeres frühstückte noch, nahm ein Sonnenbad oder schwamm ein wenig im Fluß. Die Stimmung, die nun vorherrschte, war wieder durchweg als positiv zu beschreiben, zum Teil sogar fast ein wenig ausgelassen. Doch dies schien verständlich nach dem, was hinter den Männern lag. Deshalb ließ Jok sie gewähren und drängte nicht zum Aufbruch…
Der lunische König und Quorus hatten einen Schattenplatz unter einem hohen Baum ausgewählt, wo sie sich ein wenig entspannten und miteinander ihre Gefühle und Gedanken austauschten. Beiden Männern war die Erschöpfung immer noch deutlich anzusehen, die der vergangene Tag mit sich gebracht hatte. Doch während Jok´s Wunde heilte, fand Quorus nur sehr langsam zu seiner alten Kraft zurück.
Jok begann schließlich zu lächeln, als er die Bemühungen der Krieger beobachtete, den Aufbruch mit zunehmendem Feuereifer vorzubereiten.
„Sieh dir nur unsere Männer an, Quorus“, bekannte der König nicht ohne Stolz in seiner Stimme, „wie sie vor Tatendrang bereits wieder strotzen, und das trotz allem, was geschehen ist! Da kommen wir wohl nicht mehr so ganz mit, fürchte ich. So macht sich das Alter nun bei mir doch spürbar bemerkbar, denn früher hätte ich einen solchen Tag auch schneller weggesteckt…“
König Jok blickte dem alten Magier tief in die Augen, der mit seinen Gedanken jedoch sehr weit weg zu sein schien.
Der lunische Regent holte Quorus vorsichtig in die Realität zurück, als er ihm sanft die Hand auf die Schulter legte.
„Was denkst du gerade, Quorus“, wollte Jok von seinem Gefährten wissen. „Doch vor allem, wie geht es dir heute? Hast du dich von dem Kampf ein wenig erholen können? Ganz der Alte scheinst du mir noch immer nicht.“
Quorus holte tief Luft, bevor er antwortete. Doch der alte Magier hatte nach wie vor kein Interesse, sein tieferes Geheimnis preiszugeben.
„Nun, sagen wir mal, meine Kraft hat sich noch nicht so regeneriert, wie ich mir das wünschen würde“, offenbarte Quorus. „Auch bei mir zeigen sich die Zeichen des Alters, ob mir das nun gefällt oder nicht. Und im Übermaß verbrauchte Kraft ersetzt sich nicht mehr so leicht. Trotzdem geht es mir heute wieder viel besser als gestern, so viel kann ich zumindest sagen. Was aber ist mit dir, mein Freund? Wie fühlst du dich heute nach dieser ersten Schlacht?“
Jok schwieg einen Moment lang und erforschte seine Gefühle, bevor er dem alten Magier mit leiser Stimme antwortete.
„Tja, eigentlich müßte ich doch sagen, gut, nicht wahr? Es ist ein strahlender neuer Morgen, die Männer sind bei bester Laune, Hes ist vernichtet und wir haben unsere erste größere Schlacht gewonnen. Wir haben große Verluste erlitten, unbestritten, doch das Heer steht noch und kann weiterziehen. Und die Wunden, die uns geschlagen wurden, werden mit der Zeit heilen, zumindest aber die körperlichen. Noch dazu haben wir einem ganzen Land den Frieden wiedergegeben, und dazu ein neues Gesicht…“
Jok richtete den Blick tief durchatmend zu Boden, während Quorus das Wort ergriff. Der Magier fühlte, was in seinem Freund vorging.
„Und dennoch bist du nicht glücklich, das kann ich deutlich sehen und fühlen“, legte der alte Magier die Tatsachen offen. „Was ist es, das dich bedrückt? Du weißt, daß du über alles offen mit mir sprechen kannst. Und wenn du Sorgen hast, vielleicht ist es mir möglich dir zu helfen?“
Der lunische König schaute nicht auf, als er antwortete, wobei er sich mit seinen Worten ein wenig Zeit ließ.
„Nun, Fakt ist, wir stehen immerhin erst ganz am Anfang einer langen und schwierigen Mission, Quorus“, sagte Jok mit gedämpfter Stimme. „Keiner von uns ahnt auch nur, was noch alles vor uns liegen mag, welche Dimensionen dieser Krieg noch annehmen wird. Der gestrige Tag hat uns einen Teil des Schreckens gezeigt, den Tor für uns aufgespart hat, aber ich fürchte dennoch, daß auch dieser Horror erst der Anfang war.“
Quorus zuckte seufzend mit den Schultern.
„Das ist kann ich nicht leugnen, Jok, denn nicht einmal ich weiß zu sagen, was als nächstes oder überhaupt noch geschehen wird“, gestand der alte Magier freimütig. „Hier sind auch meiner Macht Grenzen gesetzt, in die Zukunft kann ich nicht sehen. Die Vergangenheit vermag ich inzwischen einzuordnen und Weissagungen zu deuten, aber auf dieser Mission bin ich nur einer von vielen. Und auch ich habe Angst…“
Jok zeigte sich von den letzten Worten des alten Magiers überrascht, und er schaute den Freund sichtlich verwundert an.
„Angst? Du…?
Quorus lächelte schwach.
„Nun, auch ich bin als Magier trotzdem immer noch ein menschliches Wesen, wie du weißt“, erwiderte Quorus fast ein wenig spöttisch. „Mag sein, daß diese Angst anders geartet ist, denn nicht um meinen Leib dreht sie sich. Doch ich fürchte um alles Leben, um die Ordnung aller Dinge, die so ernstlich in Gefahr geraten ist. Tor könnte völliges Chaos verbreiten, in dieser Welt und weit darüber hinaus.“
Das Gesicht des lunischen Königs begann sich auf einmal zu verfinstern, und es spiegelte um so mehr grimmige Entschlossenheit.
„Eben das suchen wir ja mit unserer mutigen Reise zu verhindern, Quorus“, sprach der lunische König mit entschlossener Stimme, „und dafür müssen wir bereit sein, alles zu geben, selbst unser Leben! Wir werden Ventraktor am Ende befreien und von allem Bösen reinigen! Und wir werden den Tyrannen Tor vernichten!“
Quorus blickte seinen lunischen Freund lächelnd an. Er war immer wieder von dessen Mut und Energie beeindruckt, die sich trotz aller Zweifel und Ängste im Innersten am Ende doch durchzusetzen vermochten.
Der Magier nickte mit dem Kopf.
„Nun, was den Einsatz und den Mut des lunischen Königs anbelangt, braucht uns wahrlich nicht bange zu sein“, hielt Quorus resümierend fest. „Ich werde mir wohl daran ein Beispiel nehmen müssen…“
Jok lächelte geschmeichelt.
„Dann wollen wir die Dinge dabei bewenden lassen und jetzt das Zeichen zum Aufbruch geben, Quorus“, beendete der lunische König das Gespräch, „denn unser Weg bis nach Tornien ist noch sehr weit…“
Der lunische Regent erhob sich vom Boden und Quorus folgte dem Beispiel. Jok ließ daraufhin seine Herolde antreten, die bald darauf den Aufbruch verkündeten. Das nächste Ziel auf der großen Reise hieß nun Zorvenien.
Den ersten Blick von Quorus bekam Jok allerdings nicht mehr mit, nachdem er sich abwandte. Deutliche sorgen standen auf einmal in das Gesicht des lunischen Weisen geschrieben, als er seinen Blick in Richtung Zorvenien wandte. Noch ahnte niemand, was sie dort wirklich erwartete, niemand außer Quorus…
Da die Lunier um Quorus und König Jok keine Pferde mehr besaßen, mußten sie ihre Reise nunmehr zu Fuß fortsetzen. Doch der Marsch durch das Land Hesk gestaltete sich fortan
weitaus angenehmer als zuvor, da von der vormals morastigen, nebelverhangenen Landschaft
nichts mehr übriggeblieben war. Hesk zeigte sich von seiner schönsten Seite, und die Lunier durften durch weite Ebenen wandern, die mit den prächtigsten Pflanzen und Bäumen bewachsen waren.
Hohe Farne und saftige Gräser säumten ebenso den Weg wie wild wachsende Büsche mit bunten Früchte an den Sträuchern. Des öfteren konnten sich die Lunier an den diesen nicht giftigen, schmackhaften Früchten gütlich tun.
Der Himmel blieb wolkenlos, ein schöneres Reisewetter hätten sich die dahinziehenden Männer wahrlich nicht wünschen können.
Frisch gestärkt und neuen Mutes zogen die lunischen Truppen unter Führung von Jok und Quorus unbeirrt auf ihrem Weg nach Süden…
König Jok und Quorus führten auf dem Weg nach Zorvenien wiederum eine angeregte Unterhaltung. Allerdings trug diese nunmehr einen völlig belanglosen Charakter, als ob die Ereignisse von Hesk bereits verblaßten. Der lunische König fragte sich indessen allerdings schon, ob Quorus ihm tatsächlich die ganze Wahrheit gesagt hatte, aber natürlich wußte er, daß aus dem alten Mann nichts herauszuholen war, nichts, über das er nicht selbst sprechen wollte. Und Jok beließ es dabei. Denn er wußte nur zu genau, daß es keinerlei Sinn machte den Magier zu irgend etwas drängen zu wollen. Wenn es tatsächlich etwas gab, das Quorus verheimlichte, dann würde er es irgendwann selbst offenbaren, oder auch nicht. Diese Entscheidung oblag allein bei Quorus.
Jok lächelte schließlich sichtlich zufrieden.
„Tja, es scheint, daß dieser Tag heute noch sehr hohe Temperaturen erreichen wird“, stellte Jok mit einem Blick zum Himmel fest, „und wir müssen auch noch zu Fuß marschieren. Der Sommer gibt sich doch noch nicht gänzlich geschlagen. Aber zumindest freue ich mich, daß die Männer schon wieder bei so guter Laune sind, das allein ist in unserer Situation sehr viel wert!“
Quorus nickte nur wie beiläufig mit dem Kopf, doch seine Gedanken waren mit gewichtigeren Dingen beschäftigt.
Der alte Magier wechselte schließlich abrupt das Thema.
„Was ist es, Jok? Du wirkst nach außen hin gelöst, aber da ist etwas in dir, das eine andere Sprache spricht. Du hast mir vorhin nicht alles gesagt, denn dir liegt überdeutlich noch etwas anderes auf dem Herzen. Ich kann es deutlich fühlen, und vielleicht vermag ich dir ja irgendwie zu helfen?“
Ohne Quorus anzusehen begann Jok in sich hinein zu lächeln, weil dem alten Magier nichts verborgen zu bleiben schien. Doch gleich darauf wurde der Blick des Königs wieder ernst, ebenso wie die Stimme, mit der er sprach.
„Ich ahnte schon“, gestand der lunische Herrscher offen ein, „daß ich dir nichts vormachen kann, Quorus. Allerdings muß ich gestehen, daß es mir alles andere als leicht fällt darüber zu sprechen, selbst mit dir. Denn manche Zweifel und Ängste lassen sich einfach nicht ausräumen, selbst wenn ich dir noch so sehr vertraue.“
Jok schwieg noch einmal für einige Augenblicke. Dann holte er einmal tief Luft, um sich endgültig zu überwinden.
„Es geht um Jokus, meinen Sohn“, erläuterte der lunische König schließlich. „Lange Zeit habe ich den Gedanken daran einfach nur verdrängt, diese Weissagung an die Aufgabe, die ihm gestellt ist. Du selbst hast uns diese Prophezeiung vor langer Zeit gedeutet, welche besagte, daß Jokus der Auserwählte aller Völker ist, der Tor einst im Endkampf gegenüberstehen muß. Ich habe deine Worte nie in Zweifel gezogen, Quorus, denn du hast uns niemals belogen. Aber wir können nur erahnen, über welches Machtpotential Tor verfügt, und wer er eigentlich überhaupt wirklich ist. Niemand kann auch nur ahnen, was uns in Tornien tatsächlich erwartet, was also kann Jokus all dem entgegensetzen? Wärst nicht du deshalb die bessere Wahl im Kampf gegen den Herrn der dunklen Kraft und Magie? Dies alles erscheint mir nicht logisch…“
Jok schüttelte seufzend den Kopf.
„Deshalb dachte ich“, fuhr der König fort, „die Weissagung muß einerseits wahr sein, doch andererseits zweifelte ich an meinem eigenen Sohn. Denn er ist ein Mensch wie jeder andere und trägt keine übernatürlichen Kräfte. Deshalb muß der menschliche Verstand bei solchem Ungleichgewicht der Kontrahenten versagen, und ich vermochte nur eines zu tun. Ich konnte die Tatsachen einfach nur verdrängen…“
Quorus mußte unweigerlich lächeln, denn auf diese Frage hatte er schon einige Zeit gewartet gehabt. Doch er mußte Jok enttäuschen. Der lunische König schien für die ganze Wahrheit noch nicht reif, weshalb der Magier zunächst auswich.
„Nein, Jok, ich kann dir nur sagen, daß ich diesen Kampf nicht bestreiten könnte“, hielt der Magier fest, „weil ich dazu nicht auserwählt bin. Auch, wenn du es dir nicht vorstellen kannst, Tor würde mich einfach zerquetschen wie eine Fliege. Nicht Magie allein ist hier gefragt, sondern andere Dinge stehen hier im Vordergrund.“
Quorus holte einmal tief Luft, bevor er fortfuhr. Und der Magier entschloß sich endlich, mehr von seinem Wissen preiszugeben.
„Einstmals war es mir erlaubt“, begann Quorus zu erzählen, „mit Hilfe der Kraft, die ich in mir trage, in das ewige Weltgesetz hineinzuschauen, welches das Maß aller Dinge für uns ist. Denn seit unsere Welt Bestand hat, gilt auch das Gesetz, und es wird bleiben, bis es dereinst in allen Punkten erfüllt ist. Und diese Erfüllung ist nun einmal der versprochene Auserwählte, Jokus. Die Entscheidung wird am Ende zwischen ihm und Tor fallen, diese beiden werden um den Sieg ringen. Doch das ist nicht alles, was für unsere Völker und die Mission gewichtig ist, und was du noch nicht weißt, sollst du heute erfahren…“
Der alte Magier schwieg für einige Augenblicke, um seinen Worten das nötige Gewicht zu verleihen, während sich die Augen des lunischen Königs interessiert weiteten. Und schließlich fuhr Quorus mit fast feierlicher Stimme fort.
„Jokus trägt die Kraft zum Kampf gegen Tor tief in sich“, fuhr der alte Magier mit feierlicher Stimme fort, „doch er ist sich ihrer noch nicht bewußt. Diese Reise dient vielen Zwecken, doch für Jokus beinhaltet sie viel mehr. Denn dein Sohn muß auf dem Weg zu seinem wahren „Ich“ finden. Und das wird er auch, ich weiß es einfach. Ich spüre, daß Jokus sein wahres Potential entdecken kann. Und wenn dies geschieht, dann wird er auch lernen es einzusetzen.“
Der alte Einsiedler begann geheimnisvoll zu lächeln.
„Doch zu deiner Beruhigung sei gesagt, daß Jokus nicht alleine ausgewählt ward, gegen das Böse zu kämpfen“, meinte der Lunier hoffnungsvoll, „denn es gibt noch eine zweite Kraft, die bis heute im Verborgenen lebt. Ich konnte leider niemals herausfinden, um wen oder was es sich dabei handelt, denn auch die Weissagung schweigt darüber. Doch ich weiß, daß diese beiden entscheidenden Kräfte einander bestimmt sind, und daß sie sich irgendwann, auf der Reise der Vereinigung, begegnen werden. Das habe ich in einer Vision gesehen, auch wenn diese keine Identität nicht preisgab. Aber ich glaube an Jokus, er wird finden, was ihm bestimmt ist. Und dann müssen sich die zwei Kräfte zu einer vereinen – was immer dies bedeuten mag. Aus dieser Vereinigung wird schließlich etwas Neues erwachsen, daß Tor letztlich zu trotzen vermag.“
Der lunische Magier seufzte einmal tief und hielt für kurze Zeit inne, bevor er seine bedeutsame Ansprache fortsetzte.
„Viele Rätsel, viele offene Fragen, doch leider keine Antworten“, bekannte Quorus ehrlich. „Ich habe zumindest bis heute keine gefunden…“
Einmal mehr unterbrach Quorus seinen Bericht für einige Augenblicke, weil Bilder einer längst vergangenen Zeit in sein Gedächtnis zurückkehrten. Bilder einer Zeit, in der auch Hes noch an seiner Seite gestanden hatte, um gemeinsam mit ihm die Rätsel des Universums zu erforschen. Die Geschichte ließ Quorus einfach nicht los.
Tief seufzend verdrängte der alte Magier seine wehmütigen Gedanken, und er kehrte in die Wirklichkeit zurück.
„Wie auch immer“, setzte Quorus seine Ausführungen weiter fort, „dies alles zu sehen, hat mich damals sehr viel Kraft gekostet und einige Wochen meines Lebens, die ich brauchte, mich von dieser gewaltigen Anstrengung zu erholen. Ein anderer half mir dabei und stützte mich in diesen schweren Tagen, denn meine Kraft alleine hätte nicht ausgereicht. Ihr verdanke ich viel, ihr, die mir später als unversöhnlicher Feind gegenüberstand, den zu vernichten mir bestimmt war…“
Wieder glitten die Gedanken des traurigen Magiers zu Hes zurück, nachdem er instinktiv und ungewollt zu viel verraten hatte.
König Jok verstand natürlich nicht, wovon sein Freund redete. Allmählich beschlich ihn allerdings eine ganz gewisse Ahnung, die jedoch so furchtbar war, daß sie es viel zu unglaublich schien, an diesen Gedanken zu glauben.
Als Quorus in seinem traurigen Schweigen verharrte, konnte Jok nicht anders, als das, was er dachte, in Worte zu fassen. Doch der lunische Herrscher formulierte die nächsten Worte nur sehr vorsichtig und zögerlich.
„Mein Freund“, sprach der Regent leise, „du hast schon ein paar Mal merkwürdige Andeutungen gemacht, die ich nicht verstehen konnte, welche mich aber nachdenklich gemacht haben. Kann es sein, daß es da etwas gibt, das du mir verschweigst? Kann es außerdem sein, daß dieses Geheimnis irgend etwas mit der Hexe Hes zu tun hat?“
Jok seufzte einmal tief.
„Ich möchte dir wirklich nicht zu nahe treten, Quorus“, entschuldigte sich Jok sogleich, „doch ich bin hier spürbar nicht der einzige, welchen Sorgen belasten. Der Unterschied ist nur, daß ich ehrlich bin, während du schweigst.“
Quorus antwortete Jok nicht sofort, doch er wußte, daß er nicht mehr länger in sich verschließen konnte, was ihn so sehr quälte.
Jok hatte vollkommen recht mit seiner Behauptung, und die Wahrheit wollte endlich ausgesprochen werden, weil sie sich inzwischen schon zu vervollständigen begann. Auch Quorus mußte sich endlich irgend jemandem anvertrauen, nach all diesen schmerzlichen Jahren. Und wem sonst außer Jok konnte er sonst absolut vertrauen? Der Augenblick der Wahrheit war endlich gekommen…
Der Magier begann schließlich leise zu sprechen. Und weil beide Männer dem Heer ein gutes Stück vorauswanderten, konnte kein anderer Lunier mithören.
Die Stimme des alten Magiers erklang nur leise und war von tiefer Traurigkeit durchzogen, als er zu König Jok sprach.
„Du hast recht, Jok“, bekannte der Magier offen, „da ist etwas, das ich mit mir herumtrage. Doch laß uns die nächste Rast abwarten, wenn wir unseren Gliedern Erholung gönnen, dann werde ich dir erzählen, was kein anderes lebendes Wesen jemals erfahren hat. Für den Moment wisse denn dies eine, daß meine Anstrengung damals die Vision hervorbrachte, die unserer Welt die Hoffnung zurückgab. Und seit dieser Zeit schon bestreiten wir unseren Kampf gegen Tor mit neuer Hoffnung, ganze Generationen haben dafür gekämpft und ihr Leben hingegeben!“
Jok blickte Quorus interessiert an.
„Ich muß sagen, deine Worte haben mich neugierig gemacht“, gab der lunische König zu,
„doch meine Ängste nehmen sie mir nicht. Ich fürchte weiter um meinen Sohn, ob er seinen Weg finden wird, und ich möchte natürlich noch mehr erfahren. Denn irgendwie stehen all diese Dinge ja miteinander in Verbindung. Und du bist derjenige, welcher erklären kann, was es mit diesen Rätseln auf sich hat. Deshalb bin ich nun schon sehr gespannt auf unsere nächste Rast, und ich werde dir gut zuhören.“
Quorus nickte lächelnd mit dem Kopf.
„Nun, mach dir aber nicht zu viele Hoffnungen, Jok“, warnte der Magier, „denn auch mein Wissen ist und bleibt begrenzt, ich vermag nicht alles zu sehen, was ich gerne möchte. Am Ende bin auch ich nichts weiter als ein Verbindungsstück zwischen allem, was war, was ist und dem, was noch kommt. Jeder muß seiner Bestimmung folgen, keiner kann mehr sein als das, was sein Schicksal ihm zugedacht hat. Auch ich muß dies akzeptieren. Und das alles ist auch der Grund dafür, warum ich Jokus nichts weiter über seine Bestimmung erzählt habe, denn er muß seinen Weg alleine finden, fürs erste jedenfalls. Aber wenn er Hilfe braucht, dann wird er sie erhalten, auf die eine oder andere Weise…“
Quorus schaute seinen Freund ernst an.
„Mein Wissen mag einige Dinge erklären“, fügte der alte Magier noch hinzu, „aber bei weitem nicht alles. Das möchte ich einfach nur betonen, damit du deine Erwartungen ein wenig herunterschraubst.“
Jok schüttelte seufzend den Kopf.
„Quorus, mein alter Freund“, sagte der lunische König lächelnd, „manchmal erscheinen mir deine Worte noch rätselhafter als die mysteriösen Weissagungen einer fernen Zeit. Wie soll ein einfacher, bescheidener König all das verstehen?“
Quorus begann ebenfalls zu lächeln. Der alte Magier schwieg für einige Momente, bevor er zu einer Antwort ansetzte.
„Nun, es scheint, daß die Zeit gekommen ist, dir ein wenig mehr Wissen über die Grundlagen zu vermitteln, um die es hier geht, Jok“, stellte Quorus fest. „Ich weiß, du hast dich in der Vergangenheit nicht unbedingt gerne mit Magie oder der Kraft, aus der erstere hervorgeht, beschäftigt, doch du kannst dem Thema nicht mehr länger ausweichen. Denn es ist eben diese Kraft, welche wir in uns tragen, die einst alles erschaffen hat, was heute ist. Sie leitet unser Schicksal und läßt alle Dinge entstehen und wieder vergehen. Sie läßt es regnen oder die Sonne scheinen, sie läßt die Blumen blühen und verwelken. Sogar die Sterne am Himmel läßt sie leuchten und wieder vergehen. Denn die Kraft ist alles im Universum und kann alles. Sie ist überall gegenwärtig, in allen Dingen und alles Wissen kommt ursprünglich von ihr. Die Kraft ist der Grund für unsere Existenz, sie ist die unvergängliche Seele. Und sie ist auch das Element, welches uns mit den Göttern verbindet, an die wir glauben, ganz gleich wie die Religionen der verschiedenen Völker diese Götter auch immer definieren mögen. Und die Kraft verbindet alles was war, ist und sein wird.“
Der König Luniens legte seine Stirn in Falten, denn er hatte sichtliche Mühe, den Ausführungen von Quorus zu folgen.
Jokus schüttelte den Kopf.
„Ich habe immer mit beiden Beinen fest auf der Erde gestanden, Quorus“, entgegnete der lunische König verunsichert, „obgleich ich immer dachte, daß es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als das, was wir sehen. Und doch fiel es mir stets schwer, daran zu glauben, ich meine all die Dinge, die nicht sichtbar oder greifbar sind. Und nicht die Magie des Lichtes, nein, ausgerechnet Tor`s dunkle Macht hat mich eines Besseren belehrt. Trotzdem verdrängte ich dieses leidige Thema immer – bis zum heutigen Tag…“
Der König senkte ein wenig beschämt den Kopf.
„Nun aber kann ich mich nicht länger vor der Realität verstecken“, bekannte Jok kleinlaut,
„also erzähle mir mehr darüber, mehr über die Kraft! Welche Eigenschaft besitzt sie eigentlich, ich meine, ist sie gut oder böse?“
Quorus schüttelte sein Haupt.
„Weder, noch, Jok“, erklärte der lunische Weise. „Sie ist unser Lebensspender, von Anbeginn der Zeit bis zum heutigen Tag. Die Kraft erhält die Dinge einfach so, wie sie sind, alles andere ist uns überlassen. Deswegen sollte derjenige über die Welt herrschen, welcher die Kraft in seinem Innersten versteht und entsprechend zu beherrschen vermag, jener, der ihr Wesen begreift und sie sich untertan macht. Weisheit kann er dann finden, und Verständnis für alle Dinge. Er wird Herr über die Magie des Lichtes und nur wenige Grenzen sind ihm dann noch gesetzt. Nur so konnte ich zu dem erwachsen, was ich heute bin, wie jeder andere Magier vor mir…“
Jok begann Quorus immer verständnisloser anzuschauen und es schien ihm so, als hätte er bis jetzt nichts über die wahren Zusammenhänge des Lebens gewußt, die wahren Werte, die über aller sichtbaren Materie standen.
Der König seufzte einmal mehr tief.
„Quorus, so langsam verstehe ich wirklich gar nichts mehr“, führte Jok schon halbwegs verzweifelt an. „Wenn diese Kraft so allmächtig ist, wie du sagst, wie kann sie dann einem einfachen Lebewesen untertan sein? Vielmehr müßte sie unser Leben bestimmen. Das alles klingt doch irgendwie absolut paradox…“
Quorus begann nachsichtig zu lächeln.
„Das mag wohl sein, Jok“, gab der alte lunische Weise zu, „doch dies ist auch genau der Grund dafür, warum die meisten die Bedeutung der Kraft niemals wirklich erfassen können. Ihnen muß sie verborgen bleiben, und nur wenige erfahren jemals ihr ganzes Geheimnis. Es gab jedoch eine Zeit, da dies anders war, eine Zeit, in der alle Lebewesen in völligem Einklang mit der Kraft und den göttlichen Gesetzen lebten. Doch dann kam das Böse in Gestalt von Tor in unsere Welt und brachte Chaos und Unordnung. Menschen wie auch alle andere Rassen haben ihre Götter und die Gesetze der Natur vergessen und verschrieben sich anderen Dingen. Der Kampf gegen Tor hat die Völker entzweit und jeweils isoliert, und mit der Zeit vergaßen sie sogar die Bedeutung ihrer wahren Existenz. So gilt es nun, ganz Ventraktor zu heilen, indem wir unsere geliebte Welt auf ewig von der Finsternis befreien, ganz gleich, welchen Preis wir dafür bezahlen müssen!
Quorus nickte zu seinen eindringlichen Worten noch mit dem Kopf. Doch auf einmal senkte der Magier seinen Kopf.
„Einschränkend muß ich allerdings noch dazu sagen“, setzte der lunische Weise seine Ausführungen fort, „daß es nicht allen Lebewesen bestimmt ist, gänzlich über die Kraft zu verfügen, so wie es mir zum Beispiel möglich ist. Denn in den Bestimmungen ward vorgesehen, daß nur Magier, Feen, Hexen und andere der Magie verschriebenen Wesen das Innerste der Kraft finden und sie ganz beherrschen können. Dazu noch die jeweiligen Herrscherhäuser aller Rassen, die ihren Völkern vorstehen. Alle anderen könnten die Kraft aber wenigstens teilweise nutzen, wenn die Welt in ihren ursprünglich paradiesischen Zustand zurückversetzt würde. Das ist es, was mich meine Forschungen mit der Zeit gelehrt haben, und das ist es, was ich zu vermitteln versuche.“
König Jok hatte einmal mehr seine Stirn in Falten gelegt, doch er nickte mit dem Kopf. Langsam, aber sicher wurden ihm die Zusammenhänge klarer.
Jokus atmete tief durch, bevor er seinem Gefährten antwortete.
„So allmählich nimmt die ganze Sache Konturen an, Quorus“, bestätigte der lunische König seinem Freund. „Auch Tor besitzt diese Kraft, doch er verkehrt sie ins Gegenteil, um dunkle Energie daraus zu formen. Und die Kraft, ihm untertan, läßt ihn gewähren. Sie läßt jeden frei gewähren, der sie zu beherrschen versucht, wenn er zur auserwählten Personengruppe gehört, weil die Kraft eben völlig neutral ist. Aber dies könnte letztlich nun sogar zu unserem Untergang führen. Wir dürfen nicht zulassen, daß Tor am Ende über die Kraft triumphiert…“
Quorus nickte knapp mit seinem Kopf, ehe er antwortete.
„So ist es, Jok, das ist unser Ziel“, bestätigte der alte Magier. „Was aber nun die Herrscherhäuser der Völker betrifft, auch hier ist die Kraft in all der Zeit der Isolation klein geworden. Ich habe in diesen Jahren verschiedene Reisen unternommen, um wenigstens lose Kontakte zu einigen Völkern zu halten, doch ich mußte feststellen, daß die Werte überall mehr und mehr verlorengingen.“
Quorus schüttelte seufzend den Kopf.
„Es ist wirklich die letzte Stunde unserer Welt und höchste Zeit, sie zu heilen, oder aber Ventraktor wird auf ewig verloren gehen. So lautet die Bestimmung. Es ist an uns sie nun zu erfüllen!“
Der alte Magier schwieg für einige Augenblicke und hielt seinen Blick gesenkt. Mit deutlich gedämpfter Stimme fuhr er schließlich fort.
„Einst war die Kraft auch in deiner Familie sehr stark, Jok“, erzählte Quorus in wehmütiger Erinnerung. „Noch dein Großvater beherrschte sie bis ins Innerste, doch es gelang ihm nicht, ihre Bedeutung deinem Vater zu vermitteln. Dieser ging seinen eigenen Weg, der ihn von der wahren Bedeutung des Lebens wegführte. Er hat nur für den Frieden gelebt und sich den Künsten gewidmet, eine Illusion in der traurigen Realität unserer Zeit.“
Quorus schüttelte den Kopf, als er an die vielen sinnlosen Auseinandersetzungen dachte, welche er mit dem Vater von Jok, Joran, geführt hatte.
„Einige Male habe ich versucht, deinen Vater umzustimmen“, resümierte der lunische Weise konsterniert, „doch es war vergeblich. Auch wenn ich seine Beweggründe verstehen konnte, so hat er das lunische Volk doch noch weiter von seiner wahren Bestimmung weggeführt und Tor damit direkt in die Hände gespielt.“
Quorus hob endlich wieder den Blick und sah seinen Gefährten aus traurigen Augen heraus an, bevor er weitersprach.
„Auch du wurdest so erzogen, Jok“, sagte Quorus, „und die Wurzeln dieser Weltsicht sind noch immer in dir. Das ändert jedoch nichts an den Tatsachen. Jokus ist der Auserwählte und er muß bald lernen, die Kraft zu gebrauchen. Von ihm hängt nun alles ab, mit ihm siegen wir am Ende, oder wir gehen verloren. Das ist es, was die Kraft mich gelehrt hat und was das Weltgesetz mir zeigte. Es gibt keinen anderen Weg.“
Jok schwieg lange, bevor er Quorus antwortete. Er fühlte, wie die Gefühle in seinem Innersten brodelten und wie alles, woran er ein Leben lang geglaubt hatte, die ganze Ordnung der Dinge, auf einmal auf den Kopf gestellt war.
Schließlich ergriff der Lunier das Wort.
„Auch, wenn es mir schwerfällt, das zuzugeben“, bekannte der lunische König leise, „irgendwie erscheint mir dies alles gar nicht so fremd, wie ich annehmen sollte. Auf eine seltsame Art und Weise sind mir deine Worte auch vertraut, als ob sie in mir geschlummert hätten, um hier und heute zu erwachen. Dennoch ist mir eines nicht ganz klar. Wenn alles stimmt, was du sagst, und ich zweifle nicht daran, wie soll Jokus dann jetzt noch auf die Schnelle lernen, die Kraft zu gebrauchen, ich meine, zu lernen, wofür andere ein ganzes Leben brauchen…?“
Jok blickte den lunischen Magier fragend an, und Quorus antwortete ihm nach einigen Augenblicken, während er wieder einmal geheimnisvoll lächelte.
„Wie ich bereits sagte, kenne auch ich die Zukunft nicht, Jok“, bestätigte der lunische Magier noch einmal. „Und um niemanden zu verunsichern oder Druck auszuüben, habe ich bis jetzt geschwiegen. Doch eines weiß ich genau, nämlich daß viel mehr in Jokus steckt, als wir alle ahnen. Auch, wenn er sich seiner wahren Möglichkeiten noch nicht bewußt ist. Die Kraft ist stark in ihm, das konnte ich deutlich spüren.“
Quorus blickte Jok zuversichtlich an.
„Jokus wird seinen Weg finden, auf die eine oder andere Art“, war sich Quorus sicher.
„Und er wird auch die zweite Kraft finden, die ihm prophezeit wurde, da bin ich mir ganz sicher. Vertrauen müssen wir nun haben, denn nur wenn alle Punkte des Gesetzes, zu dem eben auch die Weissagungen gehören, erfüllt sind, haben wir am Ende dann die Chance, das Böse vernichtend zu schlagen. Vergiß das nie!“
Jok nickte wie beiläufig mit dem Kopf.
„Nun gut, ich will versuchen, zu vertrauen und es vorläufig dabei zu belassen, Quorus“, setzte Jok einen Schlußpunkt unter das Gespräch, „auch, wenn es nicht leicht fällt. So ist es vorerst an uns, alles zu geben, um unsere Mission zum Erfolg zu führen, damit auch von dieser Seite die Voraussetzung zum Endkampf geschaffen werden kann. Und dabei wollen wir es jetzt bewenden lassen, denn ich brauche nun erst einmal Zeit, um über alles, was du mir vermittelt hast, in Ruhe nachzudenken. Und ich will…“
Quorus ließ den lunischen König seinen begonnenen Satz nicht zu Ende sprechen, sondern unterbrach ihn mit strahlendem Blick.
„Apropos Vertrauen, Jok“, rief der alte Magier erfreut aus, „sieh doch mal da vorne! Die Kraft meint es gut mit uns…“
Quorus war stehengeblieben, und Jok tat es ihm gleich. Nachdem die Lunier eine Weile durch einen dicht bewaldeten Teil von Hesk gewandert waren, schloß sich nun vor ihnen eine weite, baumlose Ebene an, auf der alle verlorengegangenen Pferde friedlich grasten, gerade so, als ob sie nur auf ihre Reiter gewartet hätten.
Jok glaubte zunächst, daß er vielleicht träumte.
„Ist das Realität oder nur ein Trugbild, Quorus?“, fragte Jok sichtlich überrascht. „Ich dachte, unsere Pferde sind über alle Berge, doch nun warten sie hier auf uns. Es will mir erscheinen, als ob ich träume, als ob ein Wunder wahr wird…“
Quorus nickte zustimmend mit seinem Haupt.
„Nun, was mich betrifft“, erklärte der lunische Weise, „ich glaube an Wunder dieser Art. Und in diesem Fall sollten wir uns einfach nur darüber freuen. Denn nun können wir unsere Mission wieder wie geplant fortsetzen und brauchen keine Ewigkeit dafür! Das nächste Ziel rückt wieder in greifbare Nähe!“
Der lunische König seufzte auf einmal und schüttelte dabei schmunzelnd den Kopf. Er sah Quorus in die Augen.
„Quorus, Quorus, mein guter, alter Freund“, sprach der lunische König voller Freude und Faszination, „ich glaube, irgendwann bringst du mich noch soweit, an das Unmögliche zu glauben. Doch fürs erste bin ich jedenfalls auch mal mit unseren Pferden zufrieden. Beeilen wir uns, solange sie dort ruhig und friedlich grasen.“
Die Lunier hatten keine Mühe, ihre Pferde einzufangen, die ihre Herren sogleich wiedererkannten und nicht wieder die Flucht ergriffen.
Ein spontaner Jubel hallte nunmehr über die Ebene von Hesk, als die Lunier ihre Pferde bestiegen und die Reise nach Zorvenien nicht länger zu Fuß fortsetzen mußten. Es wäre ein langer und beschwerlicher Weg geworden, Zorvenien zu Fuß zu erreichen, doch diese Mühe blieb den Luniern nun erspart.
So ritten sie dann mit neu belebtem Mut in Richtung Süden, einer ungewissen, aber dennoch hoffnungsvoll scheinenden Zukunft entgegen…
Das Heer um Prinz Jokus stand bereit, um die Grenze zu Ponien zu überschreiten und in die unausweichliche Schlacht gegen die Riesen zu ziehen. Doch noch hatte der lange Heereszug sich nicht wieder in Bewegung gesetzt.
Jokus saß auf seinem Pferd, an der Spitze seiner Truppen, und betrachtete sich nachdenklich das Land, welches scheinbar ruhig und friedlich vor ihnen lag.
Sehr hohe Berggipfel, teilweise auch von Schnee bedeckt, glänzten im Licht der Sonne.
Vereinzelte, mit Bäumen bewachsene Berghänge, wechselten sich mit vollkommen kahlen Felsschichten ab. In der Gebirgswelt von Ponien schien es wahrlich nicht viel Vegetation zu geben.
Eine einzige, auffällig ungleichmäßig gepflasterte Straße führte in das unbekannte Land der Riesen hinein. Etwas mehr als zehn Meter in der Breite bot sie dem lunischen Heer genügend Platz, nach Ponien einzumarschieren.
Dem Grad der Verwitterung nach zu schließen war diese Straße uralt und stammte vielleicht sogar noch aus der Zeit vor dem Tyrannen Tor, als das Volk der Riesen noch in Harmonie mit all seinen Nachbarn lebte…
Jokus war sich der Tatsache bewußt, daß die Zeit des Friedens schon lange vorbei war. Doch einen bewußten offenen Krieg gegen Ponien hatte es noch nie gegeben, erst jetzt war dieser Konflikt unausweichlich vorprogrammiert. Hätte der Lunier einen anderen Weg nach Elbien gewußt, er wäre diesem gerne gefolgt. Doch es gab keinen.
Auf einmal lenkten Vertus und Tetrus ihre Pferde zu dem von Jokus und blieben links und rechts an dessen Seite stehen.
Vertus begann ernst zu sprechen.
„Ist es nicht Zeit loszuziehen, Jokus?“
Der lunische Prinz nickte seufzend mit dem Kopf. Er fühlte einmal mehr Ängste und Zweifel in sich aufkeimen und zögerte deshalb noch immer, das von allen schon gespannt erwartete Aufbruchssignal geben zu lassen.
Schließlich überwand Jokus die Angst, als er seinen beiden lunischen Freunden nacheinander fest in die Augen schaute.
„Du hast ja recht, Vertus“, sagte der Prinz, „es gibt keinen Grund, noch länger zu verzögern, was unausweichlich ist…“
Auf einmal glitt völlig unverhofft ein überschwengliches Strahlen über das Gesicht von Jokus, daß seine beiden Gefährten sich verwundert ansahen. Von einem Moment zum nächsten schien Jokus gänzlich wie verwandelt.
Tetrus ergriff irritiert das Wort.
„Jokus, was ist mit dir? Eben noch so nachdenklich und zögernd, strahlst du auf einmal über das ganze Gesicht…?!“
Der lunische Prinz antwortete nicht sofort und sein Blick schien plötzlich durch alle Materie hindurch ins Leere zu gleiten.
Jokus flüsterte auf einmal zu sich selbst.
„Vater…“
Vertus und Tetrus sahen sich noch einmal gegenseitig fragend an. Sie verstanden nicht, was mit ihrem Freund los war; doch die beiden sorgten sich, ob seiner zunehmend seltsamen Verhaltensweisen, immer mehr um ihren Freund.
Tetrus legte dem Prinzen die Hand auf die Schulter.
„Jokus, bitte, sprich zu uns…“
Endlich kehrte der lunische Prinz wieder in die Realität zurück und schaute erst Vertus, dann Tetrus überglücklich an.
„Für einen kurzen Augenblick hatte ich so etwas wie eine Vision, Freunde“, erzählte der glückliche Prinz. „Ich habe Quorus gesehen – und meinen Vater! Ich konnte fühlen, daß sie in Hesk erfolgreich waren, daß sie die Hexe besiegt haben. Und ihr Anblick hat mir Mut gemacht, nicht länger zu verweilen und zu zögern.“
Jokus nickte bekräftigend mit dem Kopf.
„Ich weiß ganz einfach, daß es wahr ist, weil ich es einfach tief im Inneren fühle“, erklärte
Jokus überzeugt. „Unser erster großer Sieg ist errungen, und es ist nun an uns, daß wir den zweiten folgen lassen. Das Land der Riesen wartet auf uns!“
Vertus legte verwirrt die Stirn in Falten.
„He, jetzt aber mal ganz langsam, alter Freund“, wand Vertus sogleich ein. „Hast du jetzt etwa tatsächlich auch schon Visionen oder hellseherische Fähigkeiten wie Quorus? Ich glaube, allmählich kapiere ich gar nichts mehr…“
Der lunische Prinz schüttelte lachend den Kopf, als er sich über die schon halb verzweifelten Worte seines Freundes amüsierte.
Jokus legte Vertus beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Keine Sorge, Vertus, ich bin nach wie vor ganz der Alte, glaube mir bitte“, bat Jokus den Gefährten. „Magie beherrsche ich wahrlich nicht, obwohl es durchaus Momente gibt, da ich mir dies wünschen würde. Aber dann wieder fühle ich, zugegeben, doch manchmal irgend etwas Seltsames in mir, undefinierbare Gefühle und fremde Kräfte, die außerhalb meiner bewußten Reichweite liegen. Ich kann sie einfach irgendwo in meinem Inneren fühlen, aber nicht bewußt erreichen. Und das beunruhigt mich selbst…“
Tetrus schüttelte seufzend den Kopf.
„Das fehlte uns gerade noch, daß du anfängst uns Kummer zu bereiten, Jokus“, sagte Tetrus, „bei allem, was noch vor uns liegt. Laß dich bloß nicht auf irgendwelchen Hokuspokus ein, sondern bleib wie bisher mit beiden Beinen ganz fest auf der Erde. Dies war immer unser Motto, und nur so sind wir immer gut durch alle Gefahren gekommen. Du tust gut daran, diese Tatsache niemals aus den Augen zu verlieren!“
Jokus hob beschwichtigend die Hände, als er gewahrte, welch tiefe Sorgen sich seine beiden Freunde wirklich um ihn machten. Und der lunische Prinz konnte das nachvollziehen, denn umgekehrt würde er bestimmt genauso reagieren.
„Macht euch keine unnötigen Sorgen um mich, Freunde“, versuchte Jokus die Gefährten zu beruhigen, „denn mit mir ist wirklich alles in Ordnung! Und unser Motto vergesse ich bestimmt niemals. Gefühle kommen und gehen, genau wie die Bilder vor meinem inneren Auge. Aber wir haben eine Mission zu erfüllen! Und diese beginnt jetzt endgültig, mit der Durchquerung des ponischen Territoriums!“
Vertus grinste auf einmal breit. Der junge Lunier schien es kaum noch abwarten zu können, endlich das Schwert zu zücken.
„Von uns mir aus kann es schon lange losgehen, Jokus“, bekannte Vertus zuversichtlich, „denn mit den Poniern stehen noch einige Rechnungen offen! Sie haben unsere Grenzen zu oft verletzt, um uns mordend und plündernd zu überfallen. Das hat nun ein Ende, weil diese verdammten Riesen endlich den Preis bezahlen müssen!“
Jokus stimmte seinem Freund grimmig zu und wandte sich dann an die immer in der Nähe befindlichen Heeresrufer. Der Prinz nickte ihnen entschlossen zu.
Nur kurze Zeit später erklangen die hellen Töne Dutzender Fanfaren, die den Aufbruch des Heeres verkündeten. Dazu hob Jokus sein Schwert in die Luft, nachdem er sich zu seinen bereitstehenden Truppen umgewandt hatte.
Wie auf Kommando folgten alle Lunier dem Beispiel ihres Anführers. Und als die Fanfaren verstummten, war es die Stimme des Prinzen, die fest entschlossen kraftvoll über die weite Ebene des Tales Amon hallte.
„Tapfere Krieger aus Lunien“, begann Jokus mit feierlicher Stimme, „die ihr aufgebrochen seid unsere Welt zu retten, hört, was euer Prinz zu euch spricht! Wir stehen nun an einem Entscheidungspunkt, da wir Ponien betreten. Nur ein Sieg kann unsere Hoffnungen bewahren, um das Bündnis mit den anderen Völkern zu schließen.“
Der lunische Thronfolger hielt kurz bedeutsam inne, bevor seine Stimme abermals laut über die weite Ebene hallte.
„Für unserer aller Freiheit und die von ganz Ventraktor marschieren wir jetzt in Ponien
ein“, beschwor Jokus seine Krieger. „Wir müssen um jeden Preis nach Elbien gelangen, denn sonst ist unsere große Mission verloren. Doch wir werden es schaffen, denn ich vertraue meinen mutigen und tapferen Kriegern! Wir werden siegreich sein!“
Alle Lunier sprachen den letzten Satz des Prinzen begeistert nach, um dann in lauten Jubel auszubrechen. Im nächsten Moment erhob sich auch schon das dumpfe Geräusch rhythmischer Kriegstrommeln, die im Takt geschlagen wurden.
Das lunische Heer setzte sich schließlich in der geplanten Strategie in Bewegung und marschierte kampfbereit nach Ponien ein. Die erste Invasion feindlichen Territoriums seit dem Auftauchen von Tor hatte damit begonnen…
Das lunische Heer in Ponien wurde von einer großen Abteilung Reiter angeführt, die gestaffelt vor den Truppen herzogen, auch, um so nach Gefahrenquellen auf dem Weg Ausschau zu halten. Etwas hinter diesen ersten Spähverbänden abgesetzt ritten Jokus, Tetrus und Vertus, danach folgten wiederum mehrere Kompanien mit Reitern.
Den ersten, berittenen Truppen schlossen sich die Kriegstrommler an, danach dann der lange Zug schwer bewaffneter Bodentruppen, welcher sich, in den beschlossenen Sechserreihen marschierend und dem rhythmisch dröhnenden Trommelwirbel folgend, ganz langsam durch das feindliche Land Ponien wälzte.
Die Krieger waren mit Schwertern oder Äxten bewaffnet, ein großer Teil jedoch auch mit Lanzen, an denen die Banner Luniens hingen. Des weiteren gab es ganze Kompanien mit Bogenschützen, die gleichmäßig in das Heer eingegliedert waren.
Den Abschluß der lunischen Truppen bildeten wiederum Reiter, die das Heer nach hinten sichern sollten, um dem Feind nicht die Möglichkeit zu geben, den Menschen in den Rücken zu fallen. So wollte man bösen Überraschungen vorbeugen, da niemand wußte, wie die Ponier letztlich reagieren würden…
Jokus blickte sich auf seinem Pferd immer wieder nach allen Seiten um, und er hatte dabei die Stirn in Falten gelegt. Der lunische Prinz mißtraute dem scheinbaren Frieden in Ponien zutiefst, ebensosehr wie seine beiden Gefährten. Die Ruhe glich mehr der Ruhe vor einem Sturm, und möglicherweise einem gewaltigen Sturm, wie sich Jokus eingestand. Doch er verdrängte die beunruhigenden Gedanken.
Nachdem die drei Gefährten längere Zeit nur noch geschwiegen hatten, ergriff der lunische Thronfolger schließlich wieder das Wort. Dabei schüttelte Jokus sichtlich besorgt den Kopf, während er auch nur mit leiser Stimme sprach.
„Also, ich weiß nicht, Freunde“, machte der lunische Heerführer seinen bedrückenden Gefühlen Luft, „aber irgendwie werde ich bei diesem Marsch ein ungutes Gefühl nicht los. Ich traue dem scheinbaren Frieden ringsum nicht, denn mir ist, als ob irgend etwas Unsichtbares auf uns lauert. Allerdings verstehe ich diese scheinbar neue Taktik der Ponier nicht, die uns längst bemerkt haben müssen und normalerweise nicht zögern würden, vom Haß der Finsternis verblendet, blindlings wütend auf uns einzustürmen. Das hatte ich jedenfalls erwartet. Statt dessen sieht nun alles nach einer gezielten Taktik aus, als ob man uns eine Falle stellen will…“
Tetrus schüttelte deutlich mißgestimmt den Kopf.
„Dieses Mal muß ich deiner Ahnung uneingeschränkt zustimmen, Jokus“, gab der Lunier an. „Wir können davon ausgehen, daß die Ponier über uns Bescheid wissen, seitdem wir Lunien verlassen haben, und daß, sie uns nun erwarten. Wir wissen aber aus Erfahrung, daß die Riesen hinterlistig und grausam sind. Deshalb sollten wir tatsächlich auf das Schlimmste gefaßt sein!“
Jokus nickte grimmig mit dem Kopf. Der lunische Prinz ließ sich einige Augenblicke Zeit, bevor er mit finsterem Blick antwortete.
„Wir alle kennen diese bösen Geschichten, welche über das Volk der Ponier erzählt werden, seit es von Tor unterworfen wurde“, gab Jokus an. „Und besonders Gus, der zur Zeit herrschende König, soll noch alle bisherigen Herrscher noch weit übertreffen, was an ihren Grausamkeiten schon bekannt war. Er hätte sein Volk zum Höhepunkt der Gefolgschaft Tor´s geführt, und solle selbst um den Platz zu dessen erstem Diener wetteifern. So besagen es die Gerüchte.“
Vertus grinste auf einmal ebenso entschlossen wie verschlagen, als er mit grimmiger Stimme und geballten Fäusten das Wort ergriff.
„Nun, wenn diese Schlacht erst einmal beginnt“, führte Vertus aus, „dann bekommt einer von uns dreien diesen verdammten Regenten vielleicht unter sein Schwert. Ich jedenfalls würde diesem verdammten Mistkerl keine Gelegenheit mehr dazu geben, Grausamkeiten auszuüben, das könnt ihr mir glauben!“
Jokus schenkte seinem Freund einen verständnisvollen Blick und er wußte, daß Vertus mit seinen Worten keinesfalls übertrieb. Denn der junge Lunier war schon lange als einer der besten Schwertkämpfer Luniens bekannt.
Die drei Gefährten schwiegen schließlich wieder und konzentrierten sich völlig auf den Weg durch das einsame und karge Land Ponien…
Die dauerhaft rhythmisch geschlagenen Kriegstrommeln erzeugten das einzige Geräusch, welches weit und breit durch die Luft hallte. Ansonsten lag eine unheimliche Spannung in der Luft, als die Natur den Atem anzuhalten schien, um der Dinge zu harren, die nunmehr unabwendbar geschehen mußten, damit sich das Schicksal von ganz Ventraktor der Entscheidung näherte…
Das kampfbereite Heer der Ponier hatte, noch einige Meilen von den Luniern entfernt, oberhalb der quer durch das Land führenden großen Straße Aufstellung genommen. Die mit Schwertern, Äxten und Lanzen bewaffneten Truppen verschanzten sich in den Hängen der Hügel zu beiden Seiten der Straße und kauerten jeweils hinter langen, künstlich aufgeschichteten Felsreihen verborgen auf ihre ahnungslosen Gegner. Denn vom Boden aus waren die natürlichen Felsformationen nicht von den zusätzlich aufgeschichteten zu unterscheiden.
Etwas weiter nach oben abgesetzt hatten Bogenschützen Aufstellung genommen, den Blicken von der Straße aus völlig verborgen. Dabei spannten die Pfeile bereits in den Sehnen und warteten geduldig auf die sich nähernde Beute.
So erwarteten die Ponier geduldig ihren Gegner, der sich schon aus weiter Ferne durch die wuchtig hallenden Trommelschläge ankündigte. Doch kein einziger Riese ließ sich dadurch aus der Ruhe bringen oder verunsichern.
Noch ein Stück weiter nach oben versetzt, in einer Art hochgelegenen Tal, hatten die Führer der ponischen Armee ihr Lager aufgeschlagen. Von dort aus bot sich ihnen ein guter Blick auf das kommende Schlachtfeld…
König Gus befand sich mit seinen Generälen in einem großen Zelt, das den Befehlsstand des ponischen Heeres bildete. Die Führer des ponischen Heeres saßen um eine lange Holztafel herum, an deren Ende Gus platzgenommen hatte. Auch der tornische General Tet war anwesend und vernahm, wie König Gus vor seinen Untertanen über dem für ihn bereits sicher feststehenden Sieg gegen die lunischen Feinde prahlte.
Auf einmal wandte sich Gus an den Tornier.
„Nun, General“, fragte der ponische Regent, ohne den spott in seiner Stimme zu verhehlen, „warum so still in dieser großen Stunde? Wir trinken hier unseren guten ponischen Wein auf den bedeutenden Sieg, den wir heute feiern werden. Wollt ihr euch uns dabei etwa nicht anschließen? Denn schließlich ist euch die große Ehre vergönnt, bei diesem wichtigen und einmaligen Spektakel ponischer Kriegskunst anwesend zu sein. Das sollte selbst für euch etwas bedeuten…“
Der Tornier verzog keine Mine, als er mit gleichgültiger Stimme antwortete, den Weinbecher demonstrativ beiseite schiebend.
„Ich trinke keinen Alkohol“, führte der General an, „denn solchen Schwächen frönen wir Tornier nicht. Und ihr solltet euch besser auch beherrschen, denn heute steht uns noch ein schwerer Tag bevor. Es wäre völlig verhängnisvoll, die Lunier auch nur für einen Moment zu unterschätzen. Und in angetrunkenem Zustand läßt sich eine Schlacht schlecht führen. Bereitet euch also lieber auf einen schweren Kampf vor, denn die Feinde werden euch gewiß alles abverlangen.“
Gus lachte schallend und hieb dabei mit seiner Faust auf den Tisch. Und auch seine Generäle schüttelten nur die Köpfe über die Bedenken des Torniers, weil für jeden Ponier der Ausgang dieser Schlacht schon längst feststand.
Der König schüttelte grimmig den Kopf.
„Ich habe das Gefühl“, sprach der ponische Regent verächtlich, „daß unser tornischer Freund die Kraft des Weines nicht zu würdigen weiß. In Maßen genossen ist er das ideale Stärkungsmittel für eine bevorstehende Schlacht.“
Gus hob demonstrativ seinen Krug und prostete seinen Generälen zu, die das Zeichen auch prompt freudig erwiderten.
„Und was die Bedenken der Lunier wegen angeht“, fuhr Gus ungerührt dort, „diese sind absolut unangebracht. Wir sind auf den Feind gut vorbereitet und werden ihn bald vom Angesicht dieser Welt getilgt haben. Ihr werdet es erleben!“
Der Tornier zuckte nur knapp mit den Achseln.
„Nun, warten wir es ab…“
König Gus fühlte, wie einmal mehr brodelnde Wut in ihm empor zu steigen begann. Denn General Tet ließ keine Gelegenheit aus, ihn vor seinen Untertanen zu demütigen, indem er grundsätzlich alles in Frage stellte, was Gus sagte.
Mit hochrotem Kopf und sichtlich erregt warf Gus plötzlich seinen Weinbecher auf den Boden, um gleichzeitig von seinem Stuhl aufzuspringen.
„Ihr Narren von Torniern“, schrie der König aufgebracht, „was wißt ihr denn schon! Glaubt ihr ernstlich etwas Besseres zu sein als wir? Und was versteht ihr überhaupt von Kampf und Krieg, die ihr stets andere die Drecksarbeit für euch ausführen laßt! Ihr macht euch eure Hände nicht schmutzig, sondern zieht nur die Fäden im Hintergrund. Wir sind es, die für euch die Siege erringen! Und heute sollt ihr einen solchen erleben, den größten Triumph in der Geschichte Poniens. Diesen historischen Tag werden wir niemals wieder vergessen, denn er wird die Geschichte meines Volkes ganz neu schreiben! Und ihr werdet Zeuge dieses epischen Ereignisses sein!“
Nach diesen überaus barschen Worten löste sich Gus nur ganz langsam wieder aus seiner Erregung. Doch schließlich brachte der Regent die aufgewühlten Gefühle unter Kontrolle und nahm wieder seinen Platz ein.
General Tet saß trotz des Wutausbruchs seines Kontrahenten auch weiterhin völlig ungerührt auf seinem Stuhl, gerade so, als hätten ihm die Worte von Gus gar nicht gegolten. Aber genau das erregte den Ponier so sehr, die immerwährende völlige Gleichgültigkeit der Tornier. Und dafür haßte er sie auch über alle Maßen, zumal sie die Last von Gefühlen wie Angst und Unsicherheit nicht tragen mußten.
Auf einmal betrat ein ponischer Krieger das Zelt. Mit steifer Mine nahm er direkt vor seinem König Aufstellung und erstattete Bericht.
„Mein König“, begann der Krieger zu berichten, „die Truppen der Lunier sind im Anmarsch, wir können ihre Vorhut jetzt bereits mit bloßem Auge ausmachen. Der Feind wird unsere Position in Kürze erreichen!“
Gus lehnte sich weit in seinen Stuhl zurück und machte ein zufriedenes Gesicht. Er faltete die Hände vor seiner Brust. Der völlig ahnungslose Gegner würde ihm wie geplant genau in die Falle und somit dem Untergang entgegen gehen.
„Na, also“, stellte der König triumphierend fest, „endlich ist es soweit! Dann kann die Schlacht beginnen, damit unsere Falle zuschnappt!“
Entschlossen rückte der ponische König auf seinem Stuhl wieder nach vorne und legte beide Handflächen auf den Tisch. Gus wandte sich an den geduldig ausharrenden Krieger, der völlig regungslos vor ihm stand.
„Kehrt auf euren Posten zurück“, befahl der ponische Herrscher schroff. „Alle Truppen sollen sich wie befohlen bereithalten und das vereinbarte Zeichen zum angriff abwarten! Alles muß ganz genau nach Plan verlaufen!“
Der ponische Krieger verneigte sich tief und verließ dann schnell das Zelt. Unterdessen wandte sich König Gus auch schon wieder an General Tet, den er dabei mit einem deutlich abschätzigen Blick musterte.
„Wir nehmen nun unsere Plätze in der Schlacht ein, General Tet“, erklärte der König steif. „Falls ihr genügend Mut aufbringt, dann folgt uns und überzeugt euch selbst von der Überlegenheit der ponischen Rasse! Dann könnt ihr es mit eigenen Augen ansehen, wie wir diese Narren von Luniern ein für alle Mal besiegen!“
Mit diesen Worten erhob sich der König von seinem Platz und verließ, gefolgt von seinen Untergebenen, das Zelt.
General Tet schloß sich den Poniern wortlos an, wie immer ohne dabei auch nur die geringste Mine zu verziehen…
Absolute Stille war unter den geduldig ausharrenden ponischen Truppen eingekehrt, die in den Bergen verschanzt geduldig auf den Beginn der Attacke gegen die Lunier warteten. Gestört wurde diese Ruhe nur von den sich weiter beständig nähernden Kriegstrommeln des Gegners, dessen Truppen schon auf Sichtweite herangekommen waren.
Trotz ihrer aufmerksamen Späher schienen die Lunier noch immer nichts von der Falle zu ahnen, in die sie sich geradewegs hinein bewegten. Die Riesen verbargen sich trotz ihrer Körpergröße geschickt vor den anrückenden Feinden…
Von seinem Standort aus vermochte König Gus die gesamte Umgebung gut zu übersehen. Und er grinste zufrieden über die ahnungslosen Lunier, die unaufhaltsam ihrem eigenen Untergang entgegenschritten.
Gus wandte sich leise an Tet, der neben ihm stand. Die Augen des Königs funkelten bereits vor tiefer, innerer Erregung.
„Sie ahnen wirklich nichts, selbst ihre Späher haben uns nicht bemerkt“, betonte der ponische Regent selbstsicher. „Nun lassen wir sie noch ein kleines Stück an uns vorbeiziehen, dann wird unsere Falle zuschnappen! Und keine einziger Feind wird dem Inferno entrinnen! Ich denke, dies wird die kürzeste und erfolgreichste Schlacht unserer Geschichte sein, auch wenn ihr noch so viele Zweifel in euch tragt! Und dann könnt ihr unserem großen Herrscher den erforderlichen Bericht liefern! “
Der tornische General teilte den Optimismus von Gus tatsächlich auch weiterhin nicht, trotz
aller offensichtlichen Vorteile, die für die Ponier sprachen. Und so setzte der General einmal mehr zu einer offenen Erwiderung an.
„Feiert den Sieg noch nicht, bevor er tatsächlich errungen ist, König Gus“, riet der Tornier mit tonloser Stimme. „Ihr wärt nicht der erste Feldherr, der einem solchen fatalen Irrtum unterliegt. Und so mancher kühne Stratege hat sich am Ende doch noch auf der Seite hoffnungsloser Verlierer wiedergefunden…“
Der ponische König ließ sich durch die provozierenden Worte des Torniers nicht mehr länger aus der Ruhe bringen. Gus war sich seiner Sache völlig sicher und ignorierte alle Warnungen seines lästigen tornischen Aufpassers geflissentlich.
„Warum nur immer so pessimistisch, mein tornischer Freund“, fragte der ponische König spöttisch, während seine Generäle nur schmunzelten. „Vertraut mir nur ein einziges Mal, denn dieser Sieg wird uns gehören! Aber wenn euch schon meine Worte nicht überzeugen, dann eben spätestens das Ergebnis…“
Gus blickte wieder auf die Straße hinunter, auf dem sich der Strom unzähliger Lunier weiterhin unaufhaltsam vorwärts wälzte. Und die ersten feindlichen Reiter passierten nunmehr den Abschnitt unterhalb der sich verschanzenden Ponier.
Die Lunier schienen weiterhin völlig ahnungslos, und die tödliche Falle der Ponier konnte endgültig zuschnappen…
Als ein größerer Teil der lunischen Truppen an den Poniern vorbeigezogen war, gab König Gus das erwartete Angriffssignal. Und auf einmal übertönten die hellen Klänge vieler Fanfaren aus den hohen Felsen ringsherum die menschlichen Trommeln, welche daraufhin abrupt verstummten.
Der lunische Heereszug kam fast augenblicklich zum Stillstand und vor allem die Reiter hatten Mühe, ihre aufgeregten Pferde zu beruhigen. Doch noch bevor die Lunier eigentlich wußten, wie ihnen geschah, ging auch schon ein gewaltiger Pfeilregen zu beiden Seiten der Straße von den Felsen herab auf sie hernieder.
Schockiert, trotz aller Vorsicht doch überrascht worden zu sein, hob Jokus schützend seinen Schild über den Kopf und riß entschlossen das Schwert aus der Scheide. Der König wandte sich mit gellender Stimme an seine Männer.
„Wir sind in eine Falle geraten“, schrie der Thronfolger verzweifelt, „sofort alles absitzen und ausschwärmen! Wir suchen Schutz zwischen den Felsen…“
Die Truppen des lunischen Königs versuchten dessen Befehl so rasch als irgend möglich nachzukommen, doch viele Männer blieben, von unzähligen Pfeilen durchbohrt, auf der Straße liegen.
Die erste gezielte Angriffswelle der Ponier überrollte die völlig überraschten Lunier geradewegs und hinterließ eine Menge von Toten, noch ehe die Schlacht überhaupt richtig begonnen hatte…
König Gus verfolgte das blutige Spektakel zufrieden von seinem Beobachtungsposten aus. Als er sah, wie die Lunier sich neu formierten und auf die ersten Felsen am Rande der Straße zuzustürmen begannen, reagierte er augenblicklich. Er wandte sich entschlossen an seine in der Nähe befindlichen Fanfarenbläser.
„Gebt das Signal für unser zweites Angriffsheer“, befahl der König. „Es soll sofort losschlagen, damit der Feind erst gar nicht zur Ruhe kommt!“
Erneut erschallten die ponischen Fanfaren und der Ansturm der Lunier auf die Felsen endete, bevor auch nur einer der Krieger sein Ziel erreichen konnte. Denn plötzlich stürmte das zweite bereitstehende Heer der Ponier unter lautem Kriegsgeschrei los und stürzte sich auf die abermals überraschten Gegner, die nicht geahnt hatten, daß ihnen der Feind tatsächlich so nahe stand.
Die Schlacht nahm endgültig ihren eigentlichen Beginn, mitten auf der Straße durch Ponien und an den Hängen zu beiden Seiten. Ein wildes, furchtbares Gemetzel entbrannte, das den Boden bald schon rot zu färben begann.
Die Lunier erholten sich schließlich von ihrem ersten Schrecken. Sie kämpften mit aller Kraft und dem Mute der Verzweiflung gegen die ihnen allein an Körperkraft überlegenen Riesen an und gestalteten die Schlacht zunächst offen…
Inmitten der heftig wogenden Schlacht hatte Prinz Jokus seine beiden Gefährten Tetrus und Vertus bald aus den Augen verloren. Er befand sich in einem verbissenen Zweikampf mit einem Riesen, der ihn um zwei Kopflängen überragte. Zwar war Jokus der deutlich bessere Schwertkämpfer, doch dieses Manko vermochte der Ponier allein durch Körperkraft auszugleichen. Selbst einige Verwundungen steckte der Gegner scheinbar mühelos weg und kämpfte energisch weiter.
Irgendwann begann die Kraft des Luniers ob der wuchtigen Schläge seines Widersachers zu erlahmen, und er geriet in zunehmende Bedrängnis. Jokus kam gar nicht mehr dazu, selbst zu attackieren, denn er versuchte nur noch, die Hiebe seines Gegners so gut als möglich abzuwehren. Und dieser drängte ihn immer weiter zurück.
Auf einmal stolperte Jokus über einen größeren Stein und stürzte zu Boden, wobei ihm sein Schwert aus den Händen glitt. Entsetzt blickte er direkt in das hämisch grinsende Gesicht des Riesen, der auch sofort über ihm war und sein Schwert zum tödlichen Schlag hob. Der Kampf war entschieden.
Einen Augenblick lang wollte den am Boden liegenden König bereits die Resignation übermannen, doch ebenso schnell erstarb dieses Gefühl auch wieder. Mit einer Gewandtheit, die ihm fast selbst unheimlich war, schnellte Jokus auf einmal vor, und sein rechter Fuß fuhr dem Ponier hart in dessen Unterkörper. Unwillkürlich entfuhr dem überraschten Riesen ein gellender Schrei und er krümmte sich vor Schmerzen. Dabei ließ der Ponier sein Schwert sinken.
Jokus zögerte keinen Augenblick und sprang auf seine Füße. Er nutzte den Augenblick der Schwäche seines Gegners eiskalt aus und warf ihn durch einen harten Stoß mit seinem Körper zu Boden. Und noch während der Riese fiel, hob Jokus sein Schwert auf und stieß es dem Riesen im nächsten Moment mitten ins Herz.
Noch sichtlich erschöpft von diesem Kampf atmete der lunische Prinz erst einmal tief durch, als sich auch schon ein weiterer Riese so ungestüm auf ihn stürzte, daß beide Kontrahenten unweigerlich zu Boden krachten.
Jokus handelte, am Boden liegend, schneller als sein Gegner. Er riß ein langes Messer aus seinem Gürtel, schnellte augenblicklich vorwärts und stieß die scharfe Klinge tief in die Brust seines Gegners. Der Riese starb sofort…
Jokus stand gerade wieder auf den Beinen, als aus den Bergen auf einmal erneut ein Signal der Ponier ertönte, und augenblicklich warfen sich alle auf der Straße befindlichen Riesen schnell zu Boden. Im nächsten Moment ergoß sich auch schon ein weiterer Pfeilhagel auf die Lunier; abgefeuert von den neu formierten Bogenschützen der Ponier. Dabei hatten diese willig in Kauf genommen, auch eigene Landsleute zu töten.
Als der Pfeilregen endete, lagen unzählige Lunier in ihrem Blut. Den Überlebenden jedoch blieb kaum Zeit, zu Atem zu kommen, weil die am Boden liegenden Ponier wieder aufsprangen und sich abermals auf ihre Gegner stürzten. Das grausame Schlachtengemetzel begann von Neuem über die Straße von Ponien hinwegzubranden…
Der lunische Prinz mußte fast ohnmächtig vor Wut miterleben, wie die Angriffstaktik der Riesen voll aufging und die lunischen Truppen immer mehr in Bedrängnis gerieten. Die Verluste an Leben stiegen entsprechend mehr und mehr an.
Wiederum in ein tödliches Duell mit einem Gegner verstrickt, fühlte der lunische Prinz, wie sich sein Traum von einem freien und friedlichen Ventraktor langsam, aber sicher in Wohlgefallen auflöste. Die Schlacht stand bereits nach so kurzer Zeit am Rande einer Niederlage für die verzweifelt kämpfenden Lunier, die den Riesen nunmehr in allen Belangen hoffnungslos unterlegen schienen. Und Jokus fühlte, daß er als Heerführer, wie befürchtet, tatsächlich vollkommen versagt hatte.
Als Jokus seinen Gegner erschlagen hatte, ging etwas Seltsames mit ihm vor. Anstatt sich weiter um die Feinde zu kümmern, sank der lunische Prinz plötzlich mitten auf dem Schlachtfeld auf die Knie, von Gefühlen unbeschreiblicher Traurigkeit und Hilflosigkeit übermannt.
Jokus spürte, wie sein ganzes Inneres heftig erbebte und Kräfte in ihm tobten, über die er keine Kontrolle hatte. So war er unfähig, weiter zu kämpfen…
Völlige Verzweiflung holte den lunischen Thronfolger ein, und die Tränen begannen ihm unweigerlich über die Wangen zu rollen.
Jokus senkte endgültig resignierend das Haupt.
„Alles löst sich im Chaos auf! Quorus, bitte hilf uns…“
Instinktiv hatte Jokus den Namen des alten Magiers ausgerufen, wobei er sich in einem tranceähnlichem Zustand zu befinden schien, der Realität und Gefahr, in der er schwebte, völlig unbewußt. Und seltsamerweise schien ihm kein Ponier Beachtung zu schenken; als ob der lunische Prinz gar nicht mehr vorhanden wäre.
Auf einmal schwanden Jokus die Sinne, während sich auch Formen und Farben um ihn herum völlig aufzulösen begannen…
Weit entfernt vom Ort des unsagbaren Grauens, im wieder schönen und friedvollen Land Hesk, zügelte Quorus auf einmal sein Pferd. Sofort folgte König Jok diesem Beispiel, und auch der Heereszug kurz darauf zum Stillstand.
Jok blickte den alten Magier fragend an.
„Quorus, was ist mit dir?“, fragte der lunische König verwundert. „Hast du etwa schon wieder einmal eine Vision…?“
Der Angesprochene antwortete nicht sofort, doch an seinem sorgenvollen Gesicht konnte Jok erkennen, daß irgend etwas nicht in Ordnung war.
Schließlich begann der alte Magier mit leiser Stimme zu sprechen, während sein Blick deutlich ins Leere glitt.
„Ich spüre etwas, Jok“, bekannte der alte Magier tonlos, „meine innere Kraft wurde von irgend etwas berührt, aus weiter Ferne. Es ist, als ob etwas oder jemand nach mir ruft, doch ich habe kein klares Bild…“
Der lunische Weise kehrte abrupt wieder in die Realität zurück, und seine Stimme nahm einen entschlossenen Klang an.
„Reitet schon ohne mich weiter“, befahl der Magier auf einmal ernst, „denn ich werde hier noch anderweitig gebraucht. Und stell jetzt bitte keine Fragen, Jok, denn ich spüre deutlich, daß die Zeit drängt…“
Jok nickte seinem Freund kurz mit dem Kopf zu, um sich dann schnell abzuwenden. Kurz darauf setzte sich das lunische Heer bereits wieder in Bewegung und ritt ohne Quorus weiter, der entschlossen von seinem Pferd herabstieg…
Quorus hatte sich ein Stück von seinem Pferd entfernt und stand nun vor einem mächtigen, alten Baum, der sich von einer kleinen, mit Efeu überwucherten Anhöhe aus mit vielen, weit verzweigten Ästen dem Himmel entgegenreckte.
Quorus spürte die Magie dieses seltsamen Ortes, vor dem sein Pferd ganz bestimmt nicht zufällig zum Stillstand gekommen war. Und wie zur Bestätigung verwandelte sich der Baum auch schon, als Quorus die Kraft fließen ließ.
Der Magier lächelte zufrieden, als sich die alten Erinnerungen bestätigten und ein aus grün leuchtender Energie bestehendes Portal an Stelle des Baumes erschien, welches undurchsichtig blieb und direkt in die Anhöhe hineinzuführen schien.
Quorus wußte es natürlich besser. Denn er hatte tatsächlich eines der uralten Portale entdeckt, durch die sich die mächtigen Magier vergangener Zeiten mit Hilfe der Kraft an jeden gewünschten Ort hatten teleportieren können.
Die Energieportale waren schon sehr lange nicht mehr genutzt worden. Doch Quorus wußte noch sehr genau um ihre Möglichkeiten, selbst einen unwirklichen Ort in der Zwischendimension anzuwählen, welche völlig frei von Zeit und Materie allein der völligen Ruhe diente. In früherer Zeit hatte der alte Mann diese Dimension öfter aufgesucht, um jeweils einige Zeit unbeschwert in vollkommener Harmonie mit der Kraft zu verbringen…
Quorus stand direkt vor dem leuchtenden Portal und fand dort zu völliger Ruhe und Einklang mit der Kraft. Ein magischer Stab materialisierte auf einmal in der Hand des alten Mannes, wie schon einmal zuvor, kurz vor der Begegnung mit Hes.
Quorus hob nun beide Arme mit dem Stab in die Luft und ließ die Magie fließen. Auf einmal zuckten weiße Energiestöße aus seinem Stab und stellten eine Verbindung mit dem Portal her, um dieses somit zu aktivieren.
Schließlich trat endete der Energietransfer, und der lunische Weise trat durch das magische Tor, welches sich danach sogleich auflöste…
Nur ganz allmählich kehrten die Sinne des lunischen Prinzen wieder zurück. Daraufhin wurde Jokus sogleich erneut von seltsamen Gefühlen durchflutet, wie er sie so intensiv noch niemals zuvor in seinem Leben verspürt hatte.
Als der Lunier sich schließlich erhob, ließ er den Blick erst einmal in alle Richtungen wandern. Er befand sich nicht länger auf dem Schlachtfeld in Ponien, sondern stand auf festem Boden, der aus einem völlig durchsichtigem, glasartigen Material bestehen zu schien. Ansonsten existierte absolut keine weitere Materie…
Jokus fragte sich ernstlich, ob er nur träumte oder am Ende sogar tot war. Zu unglaubwürdig erschien ihm, was die Augen erblickten.
Der Lunier schüttelte achselzuckend den Kopf.
„Wo bin ich hier nur?“, fragte er sich selbst verunsichert. „Und vor allem, was ist auf einmal überhaupt geschehen? Hier geht es doch nicht mit rechten Dingen zu. Das alles kann nur ein Traum sein, oder ich bin tot…?“
Jokus erschrak heftig, als aus dem Nichts heraus eine mächtig bebende Stimme plötzlich an seine überraschten Ohren drang.
„Mitnichten, Jokus“, tönte die fremde Stimme, „du bist noch sehr lebendig, und das wird hoffentlich noch sehr lange so bleiben. Denn was du hier siehst ist auch kein Traum, es ist eine andere Realität…“
Der lunische Prinz erschrak heftig beim Klang der Stimme, die so unvermittelt aus dem
Nichts erklungen war. Doch als Jokus sich herumdrehte, sah er zu seinem Erstaunen, wie Quorus einige Meter von ihm entfernt materialisierte.
Der alte Mann war nicht leiblich anwesend, sondern als strahlend weiße und durchsichtige Erscheinung, die einen Meter über dem Boden in der Luft schwebte. Jokus aber glaubte gerade erst recht nur einem Traum zu erliegen…
„Quorus! Bitte, sag mir, ob das alles wirklich real ist…“
Der alte Magier nickte lächelnd mit dem Kopf und glitt dabei durch die Luft noch etwas näher an Jokus heran.
Quorus antwortet mit sanfter Stimme.
„Dies ist kein Traum, Jokus“, sprach der alte Mann ruhig, „es ist die Realität einer anderen Dimension, in die ich dich gebracht habe. Ich bin hier, weil du mich gerufen hast und da du Hilfe brauchst. Deshalb ist jetzt die Zeit gekommen, da du einige Dinge erfahren mußt! Es ist Zeit für dich zu lernen!“
Jokus verstand noch immer nicht, was um ihn herum tatsächlich geschah, denn sein Verstand setzte an diesem unwirklichen Ort einfach aus.
„Aber…wie ist denn so etwas nur möglich…?“, fragte Jokus völlig irritiert. „Ja, ich habe aus Verzweiflung nach dir gerufen, aber uns trennte eine so große Entfernung. Du hast mich unmöglich hören können…“
Quorus sah den Prinzen eindringlich an.
„Höre mir gut zu, Jokus“, ermahnte der Magier Jokus streng, „ denn ich will es dir erklären, da die Zeit dafür nun gekommen ist. Du hast mich wirklich gerufen, zumindest ein Teil in dir, welcher bereit ist, an das Unmögliche zu glauben. Und genau dieser Teil, dein wahres Ich, will und muß nun erfahren, was in dir ist und welches Erbe du wirklich trägst! Heute ist für dich der Tag der Wahrheit gekommen, und es war immer meine Aufgabe, dir diese eines Tages zu künden. Bei unserem Aufbruch warst du noch nicht bereit, aber inzwischen spürst du Dinge, die weit über alles hinausreichen, was die Augen sehen können. Du bist für diese Wahrheit nun bereit…“
Quorus nickte knapp mit dem Kopf, bevor er weitersprach.
„Deshalb zweifle nicht mehr länger an der Wahrheit“, sprach der lunische Weise eindringlich, „sondern gib dich ihr nun völlig hin! Höre und fühle, was ich dir sagen will, und lerne daraus deine wahrhaftige Existenz kennen. Nur so kannst du wachsen und reifen, und nur so kannst du dein so bedeutendes Schicksal erfüllen!“
Jokus nickte stumm und gehorsam mit dem Kopf und setzte sich dann auf den Boden. Und als Quorus schließlich zu erzählen begann, hörte er aufmerksam zu, zuerst einfach nur neugierig, dann aber zunehmend erstaunter, bis sich die Welt für ihn schließlich gänzlich aufzulösen schien. Und ebenso verschwanden auch endlich alle Zweifel…
Irgendwie gelang es Tetrus im dichtesten Schlachtgetümmel seinen Freund Vertus wiederzufinden und an diesen heranzukommen. Beide verbissen mit einem Gegner ringend vermochten sie sich dennoch zu unterhalten.
Tetrus war sichtlich besorgt.
„Vertus“, fragte der Lunier, während er weiterhin völlig konzentriert mit seinem Gegner kämpfte, „hast du Jokus irgendwo gesehen?“
Vertus schüttelte ernst den Kopf.
„Leider nicht, Tetrus“, bekannte der Freund hilflos, da er sich auch bereits große sorgen um den gemeinsamen Freund machte. Vertus machte sich sogar Vorwürfe, Jokus aus den Augen verloren zu haben und sichte nach ihm, bisher jedoch vergeblich„Es wäre mir auch viel lieber, ihn in der Nähe zu wissen, aber vielleicht kämpft er gerade am anderen Ende des Schlachtfeldes. Ist wahrlich nicht leicht, hier einen Überblick zu bewahren…“
Tetrus wich einem wütenden Ausfall seines Kontrahenten geschickt aus und setzte dann zu einer eigenen Attacke an.
„Also, ich sage dir“, stieß Tetrus wild hervor, „wenn diese verdammten Ponier ihm auch nur ein Haar gekrümmt haben, dann werden sie das hundertfach bezahlen! Das schwöre ich bei meinem Leben!“
Vertus mußte unweigerlich schmunzeln, doch im nächsten Augenblick verfinsterte sich sein Gesicht auch schon wieder.
„Da stimme ich dir zu, Tetrus“, rief der Gefährte, „aber paß lieber erst mal auf dich selber auf! Hinter dir kommt noch ein Gegner…“
Tetrus reagierte blitzschnell auf den Warnruf seines Gefährten und warf sich zur Seite. Daraufhin verfehlte die gerade heranfliegende Lanze ihr Ziel und traf statt dessen den Ponier, mit dem Tetrus soeben noch gerungen hatte.
Tödlich getroffen sank der Riese zu Boden, während Tetrus augenblicklich den überraschten Schützen angriff. Dieser war nicht mehr in der Lage, sein Schwert zu ziehen, denn Tetrus rammte ihm das seinige tief in den Leib.
Noch während der Ponier fiel, rauschte auch schon ein weiterer Riese erhobenen Schwertes heran, doch auch er kam nicht dazu, den Angriff zu Ende zu führen. Tetrus hatte rechtzeitig seinen Dolch ergriffen und ihn kraftvoll nach dem heranstürmenden Gegner geschleudert. Das Wurfgeschoß bohrte sich in den Hals des Feindes und auch dieser starb, noch bevor er überhaupt auf dem Boden aufschlug.
Tetrus wählte sogleich sein nächstes Opfer aus und griff mit dem Schwert an. Und wieder entbrannte ein verbissenes Duell…
Vertus sah sich auf einmal gleich zwei Poniern gegenüber, die ihn wie wild attackierten, beide mit Schwertern bewaffnet. Und aus den Augenwinkeln heraus erkannte Vertus, daß von hinten noch ein weiterer Riese herannahte.
Der Lunier schüttelte grimmig das Haupt.
„Also wirklich, was zu viel ist, ist zu viel“, stieß Vertus mit bitterernster Mine hervor. „He, Tetrus, alter Freund, wenn es dir nichts ausmacht, würdest du mir dann mal kurz helfen kommen…?“
Tetrus hörte den Hilferuf seines Freundes gerade, als er den eigenen Kontrahenten niedergerungen hatte und eilte dem bedrohten Gefährten sogleich zu Hilfe. Noch rechtzeitig fing er den sich Vertus von hinten nähernden dritten Ponier ab und stellte sich diesem zum Kampf.
Vertus hatte unterdessen keine Mühe, seine beiden Gegner auf Distanz zu halten und ihre Schläge immer wieder abzuwehren. Und als einer der beiden Riesen für einen Moment unaufmerksam war, nutzte der Lunier seinen Vorteil augenblicklich.
Sich unter dem Schlag des anderen Poniers geschickt wegduckend, stieß Vertus im nächsten Moment dem zweiten Gegner das Schwert mitten ins Herz. Und bevor der Getroffene zu Boden fallen konnte, hatte Vertus ihn auch schon mit aller Kraft gepackt und gegen den zweiten Riesen geworfen, so daß beide augenblicklich zu Boden krachten. Und einmal mehr nutzte Vertus die sich ihm bietende Gunst des Augenblicks blitzschnell aus. Er durchbohrte den zweiten wehrlos am Boden liegenden Ponier mit seinem Schwert.
Für einige Augenblicke hatte Vertus etwas Luft gewonnen und verschnaufte erst einmal tief durchatmend. Doch welches Entsetzen packte ihn, als er plötzlich mit ansehen mußte, wie Tetrus von einem Schwertstreich seines Gegners getroffen wurde und zu Boden stürzte. Und schon holte der Riese zum tödlichen Schlag aus.
„Tetrus…“
Vertus stieß sichtlich geschockt einen gellenden Schrei aus und war mit ein paar schnellen Sätzen bei dem Riesen, der das Leben von Tetrus akut bedrohte. Noch ehe der Ponier jedoch begriff, wie ihm geschah, reagierte Vertus auch schon und streckte den Feind mit seinem tödlichen Stahl nieder.
Verzweifelt ergriff Vertus schnell den verletzten Tetrus und schleppte ihn, sich überhaupt nicht um weitere Ponier kümmernd, aus dem dichten Kampfgetümmel fort. Am Rande des Schlachtfeldes ließ er den Freund dann zu Boden gleiten…
Vertus war völlig verzweifelt neben seinem schwer verletzten Gefährten auf die Knie gesunken. Er sah die tiefe Wunde dicht unterhalb des Herzens von Tetrus, aus der unaufhörlich Blut floß und es erwies sich als unmöglich, diese Blutung zu stillen, so sehr sich Vertus auch darum bemühte.
Vertus ergriff die Hand seines Freundes, während ihn die Verzweiflung völlig zu übermannen begann, denn er konnte nichts mehr für Tetrus tun. Die Gefühle wollten es nicht wahrhaben, doch der Verstand wußte es besser. Tetrus war dem Tode geweiht, und nichts konnte dies jetzt noch verhindern.
„Tetrus“, stieß Vertus schließlich verzagt hervor, „du darfst nicht sterben! Hörst du mich, du mußt leben! Laß mich nicht alleine, bitte…“
Der Angesprochene sah Vertus lächelnd in die Augen, und er versuchte dessen Hand zu drücken. Doch die Kraft verließ ihn schon, sie begann deutlich sichtbar zu schwinden. Der stets so stolze lunische Recke sah seinem Ende entgegen, und er wußte es. Tetrus wußte, daß es für ihn keine Rettung mehr gab.
„Jetzt aber bloß keine Tränen, mein alter Freund“, sprach Tetrus leise, während er tapfer lächelte. „Wir haben viel zusammen erlebt, aber es war doch immer klar, daß dieser Tag einmal kommen kann. Du mußt den Kampf nun ohne mich fortsetzen, denn meine Zeit läuft leider früher ab, als ich zu hoffen wagte…“…
Vertus schüttelte energisch den Kopf. Tränen füllten seine Augen, und ein unbeschreiblicher Schmerz durchdrang sein Herz.
„Nein, Tetrus, nein“, schrie der Lunier seinen sterbenden Gefährten angstvoll an. „Es kann nicht so enden, nicht hier und jetzt! Bitte, versuch doch zu kämpfen und wehr dich dagegen! Du kannst den Tod besiegen, wenn du es nur willst! Jokus und ich, wir brauchen dich, und gemeinsam haben wir doch immer alles geschafft…“
Tetrus hatte zunehmend Mühe, zu sprechen, und er fühlte den schleichenden Tod, der von ihm Besitz ergriff. Der Lunier wußte, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb, und es gab noch so viel, was er Vertus sagen wollte.
Tetrus griff nach der Schulter des Freundes.
„Dieses Mal nicht, Vertus, wir beide…wissen es…besser! Also, hör schon auf, solch…sentimentale Reden…zu schwingen und…hör mir…lieber zu“, befahl Tetrus streng. „Wir haben…nicht mehr…viel Zeit! Aber zuerst,…versprich mir,…daß du…daß du den Kampf für…für mich fortsetzt! Schwöre es, für deinen…Bruder…“
Vertus glaubte, sich verhört zu haben. Es schien, als ob sein Freund durch die schweren Verletzungen den Verstand verlor.
„Wovon redest du nur, Tetrus…?“
Vertus zeigte ein völlig verständnisloses Gesicht, während Tetrus mit aller Macht gegen seinen nahenden Tod ankämpfte. Denn er durfte nicht eher sterben, bis alle Dinge beim Namen genant waren. Und so versuchte der schwer verletzte Lunier zu sprechen, doch sein Mund füllte sich auf einmal mit Blut.
Tetrus würgte und spie das Blut aus. Dann blickte er seinem Gefährten eindringlich in die Augen, so daß Vertus endgültig schwieg.
„Ich…durfte es dir…nicht sagen, ein Versprechen,…das mich band“, offenbarte Tetrus leise. „Du bist…mein Bruder, bitte glaub es…mir! Einst habe ich…den Eid…geschworen, der…mich band, bis…bis zu meinem…Tod. Erst heute darf ich…ihn lösen,…so sehr ich…es mir auch anders…gewünscht hätte…“
Tetrus spuckte erneut Blut, während Vertus seine Tränen nicht länger zurückhalten konnte. Zitternd nahm er seinen sterbenden Bruder vorsichtig in die Arme und wußte in diesen ergreifenden Momenten nichts mehr zu sagen.
Tetrus begann noch einmal zu sprechen, doch die Worte kamen ihm jetzt nur noch ganz schwach über die Lippen. Seine Augen begannen sich in endloser Leere zu verlieren und der Tod war ihm bereits ganz nah. Dennoch lächelte Tetrus beinahe wie verklärt, weil er wußte, daß er nun den endgültigen, ewigen Frieden fand.
„Es war…unser Vater, er hat…uns getrennt“, flüsterte Tetrus. „Er wollte…Kämpfer aus uns…machen, harte und…starke…Kämpfer, ohne die…Last brüderlicher…Gefühle. Ich mußte seinen Wunsch er…erfüllen. Nun…räche mich! Räche deinen…Bruder…“
In den Armen seines Bruders schloß Tetrus die Augen schließlich für immer. Und Vertus ließ seinen Tränen freien Lauf.
In einem völlig unerwarteten Augenblick hatte Vertus den eigenen Bruder gefunden, welchen er ein Leben lang begleitet und doch niemals wirklich gekannt hatte. Und noch im gleichen Augenblick hatte er ihn wieder für immer verloren.
Vertus fühlte wie der Schmerz ihm das Herz zerriß. Und es schien, als würde ihn die Verzweiflung völlig übermannen…
Es dauerte sehr lange, bis Vertus sich wieder ein wenig beruhigte und die Tränen aufhörten, an den Wangen herunterzulaufen. Auf einmal stiegen alte, fast vergessene Erinnerungen in ihm auf, Bilder aus der Zeit, da Tetrus und er noch Kinder gewesen waren. Zuerst nur bruchstückhaft, doch dann zunehmend klarer…
Vertus konnte sich nicht mehr an seine Eltern erinnern, er wußte nur, daß sie früh gestorben waren und er dann seine Kindheit am Hofe von König Jok verbracht hatte. Dort war ihm auch Tetrus zum ersten Mal begegnet, dort hatte die Freundschaft zu ihm und Jokus ihren Anfang genommen.
Die frei waren zu besten Freunden geworden und hatten sie im Palast von Lunk eine unbeschwerte Jugend erlebt. So waren sie dort schließlich zu Kriegern herangereift, ausgebildet von den besten Lehrern in ganz Lunien.
Doch hier und jetzt, auf dem Schlachtfeld in Ponien, hatte Vertus die wichtigste Entdeckung seines Lebens gemacht, er hatte den leiblichen Bruder gefunden, von dessen Existenz er nie auch nur das geringste geahnt hatte.
Und nun war Tetrus tot…
Vertus löste sich nur schwerlich aus seinem tiefen Schmerz, als die alten Bilder und Gefühle schließlich wieder zu verblassen begannen. Vorsichtig ließ Vertus den toten Bruder zu Boden sinken, um sich dann entschlossen zu erheben.
Der unsagbar traurige Lunier nahm sein Schwert in die Hand und richtete einen letzten traurigen Blick auf den verstorbenen Bruder. So nahm er ein letztes Mal still Abschied von Tetrus, um sich irgendwann endgültig abzuwenden.
Auf einmal stieß der Lunier einen gellenden Schrei aus und stürzte davon, zurück in die nach wie vor wogende Schlacht. Grenzenloser Haß trieb ihn an, der ihm unbändige neue Kraft verlieh.
Das Schwert des Luniers wütete nunmehr noch schwerer unter den Poniern, die ihm jetzt
gleich Reihenweise zum Opfer fielen. Niemand vermochte dem Rasenden etwas entgegenzusetzen…
König Gus beobachtete an der Seite von General Tet und seiner eigenen Generäle noch immer vom sicheren Hochplateau aus die wild tobende Schlacht. Und Gus begann unverhohlen zu triumphieren, als sich sein Sieg immer deutlicher abzeichnete.
Ganz wie erwartet stellte sich der bedeutsamste Tag in der ganzen ponischen Geschichte immer deutlicher ein, so daß Gus mehr als zufrieden lächelte.
„Alles verläuft genau so, wie ich es geplant habe“, bestätigte der Regent freudig. „Die Lunier haben absolut keine Chance gegen uns! Ein großes Kapitel im Kampf gegen die Feinde von Tor wird heute vollendet, mit dem Sieg Poniens gegen Lunien! Und unser aller Herrscher wird diesen Triumph wohl zu würdigen wissen!“
General Tet, dem Gus im Moment den Rücken zuwandte, dämpfte einmal mehr den überschwenglichen Optimismus des ponischen Regenten, als er mit der gewohnt kalten und beinahe gleichgültigen Stimme antwortete.
„Noch ist der Sieg nicht unser…“
Der ponische König wirbelte abrupt herum und starrte Tet aus haßerfüllten, drohenden Augen heraus an. Und im nächsten Moment hatte er dem überraschten Tornier auch schon einen harten Schlag versetzt, der Tet zu Boden warf.
König Gus verharrte drohend über dem Tornier, in dessen Gesicht zum ersten mal echte Überraschung aufblitzte.
„Jetzt habe ich aber endgültig genug von diesem dummen, negativen Geschwätz“, herrschte der König seinen Rivalen an. „Der Sieg ist unser – und euch brauchen wir nun nicht länger! Endlich kann ich mich einer mehr als lästigen Bürde entledigen, und das hätte ich schon viel früher tun müssen…“
Der tornische General handelte augenblicklich und sprang schnell wieder auf die Füße. Doch bevor er sein Schwert ergreifen konnte, hatte Gus auch schon ein heimliches Signal erteilt, woraufhin mehrere Bogenschützen aus dem Hintergrund ihre Pfeile auf den Tornier abfeuerten. General Tet starb, noch ehe er auf dem Boden aufschlug.
Verächtlich abwinkend baute sich Gus erhaben vor der Leiche seines Widersachers auf und schüttelte hämisch grinsend den Kopf. Dann spie er neben dem toten Affenmenschen aus, bevor er grimmig das Wort ergriff.
„Armseliger Narr“, fauchte der ponische König mit geballten Fäusten. „Meine Schlacht wolltet ihr beaufsichtigen? Ich denke, das ist wirklich nicht mehr länger vonnöten. Dieser Sieg über die Lunier gehört nur mir alleine, und kein anderer außer mir wird ihn Tor überbringen! Nur mir soll diese Ehre zuteil werden – und der Lohn! Denn erst dies macht diesen so historischen Sieg wahrhaftig vollkommen, und mich zu einem wahrlich ernstzunehmenden Verbündeten von Tor…“
Gus begann schallend zu lachen und wandte sich schließlich wieder dem erbitterten Schlachtgeschehen zu…
Etwas veränderte sich. Gus spürte auf einmal spürte eine seltsame Regung in sich aufleben, zunächst nur ganz schwach, dann jedoch immer stärker. Es war ein irgendwie vertrautes, wenn auch lange Zeit nicht mehr empfundenes Gefühl aus dem Innersten. Etwas, das ihn aufwühlte.
Der ponische König merkte, wie er zunehmend unruhiger wurde, weil plötzlich irgend etwas ganz und gar nicht mehr stimmte. Doch so sehr Gus auch versuchte, dieses Gefühl zu ergründen, er hatte keinen Erfolg damit.
Der Ponier schüttelte verwirrt den Kopf.
„Was geht denn da auf einmal in meinem Innenleben vor sich“, sprach der König zu sich selbst. „Da sind Bewegungen in Gefühlsregionen, die ich schon lange Zeit nicht mehr gespürt habe. Etwas Seltsames wühlt mich ganz plötzlich auf, etwas, das nicht greifbar scheint. Und dennoch ist es keine Illusion…“
Eine mächtig dröhnende Stimme aus dem Nichts heraus antwortete plötzlich auf die Frage des ponischen Regenten.
„Da habt ihr wohl recht, König Gus…“
Beim Klang der forschen, fremden Stimme aus dem Nichts heraus erschrak der ponische König genau wie seine Generäle zunächst heftig. Gus wirbelte sofort herum, in die Richtung, aus der die Stimme offenbar ertönt war, als keine fünf Meter entfernt auch schon der lunische Prinz Jokus materialisierte, beinahe wie ein Geist aus einer anderen Dimension.
Völlig furchtlos und von tiefstem inneren Frieden gezeichnet stand der Lunier auf dem Hochplateau, inmitten im Kreise seiner erbitterten Feinde. Doch diese wichen, bis auf Gus, erst einmal sichtlich verunsichert einige Schritte zurück.
Jokus hatte seine Arme fest vor der Brust verschränkt und lächelte zufrieden, als er das völlig überraschte Gesicht von Gus sah. Irgend etwas Unerklärliches umgab den lunischen Prinzen, eine Aura großer Macht und tiefstem inneren Friedens. Das spürte auch der sichtlich verwirrte ponische König sehr deutlich.
„Fürchte dich niemals vor dem Feind, wie mächtig er auch sei, denn Furcht ist hinderlich und läßt den Kraftstrom aus dem Inneren versiegen.“
Jokus hielt sich genau an das, was Quorus ihn gelehrt hatte. So hatte der lunische Prinz alle Furcht aus seinem Herzen vertreiben können, völlig ruhig und selbstsicher stand er inmitten seiner Feinde.
Schließlich überwand auch König Gus den ersten Schrecken und sein Gesicht begann sich sichtlich zu verfinstern.
„Wer ist er, der es wagt, hier so frech und ungeniert einzudringen?“, herrschte Gus den scheinbar so verwegenen Lunier barsch an. „Wer ist so kühn, sich mitten unter seine Feinde zu wagen, obgleich er genau weiß, daß dies zugleich sein Todesurteil bedeutet? Ich möchte es nur gerne wissen, bevor ich ihn töte…“
Jokus ließ sich auch durch die drohenden Worte seines Gegners nicht aus der Ruhe bringen und stand immer noch, fast gleichgültig lächelnd, vor dem verächtlich dreinblickenden ponischen König, der trotzdem immer noch nach Fassung rang.
„Eure Neugier kann ich befriedigen, König Gus“, antwortete der lunische Prinz seinem Gegner ruhig, „den Wunsch, mich zu töten, allerdings nicht. Jokus, Prinz und Heerführer von Lunien, steht vor euch, um jenen zum Kampfe zu fordern, der dem ponischen Volke vorsteht. Eure Zeit ist abgelaufen, der unsägliche Despot muß nun abdanken. Er, der sein Volk an Tor verschacherte, er, der feige Verräter, muß nun den Preis dafür bezahlen für alles, was er angerichtet hat…“
Der ponische Herrscher fing auf einmal dröhnend zu lachen an, und er schüttelte dabei fast belustigt den Kopf. Im selben Moment noch gab der Regent seinen Bogenschützen ein Handzeichen, und sie feuerten augenblicklich mehrere Pfeile auf den Lunier ab.
Jokus hob wie nebenbei eine Hand und die Kraft füllte ihn dabei gänzlich aus. Im Nu wurden alle auf ihn abgefeuerten Pfeile wie von Geisterhand abgelenkt und zerbrachen statt dessen an den nächstliegenden Felsen.
Fast unmerklich hatten die Augen von Gus sich ein wenig geweitet, und ein überraschter Ausdruck fand sich auf seinem Gesicht.
Für einige Momente rührte sich niemand mehr auf dem Hochplateau, und eine knisternde Spannung lag spürbar in der Luft. Doch schließlich begann der ponische König breit zu grinsen, als er endlich zu begreifen anfing.
„Nicht übel, und ich muß gestehen, er beeindruckt mich ein wenig, der lunische Prinz“, sprach Gus voll Spott und Ironie. „Und fast hätte er mir Angst eingejagt, dieser kühne und tapfere lunische Herausforderer…“
Entschlossen wandte der Regent sich an sein Gefolge, da er wußte, daß ihm ein ganz besonderer Kampf bevorstand.
„Verschwindet von hier, Männer, laßt uns allein“, befahl der ponische Herrscher allen anwesenden Untergebenen schroff. „Diesen lunischen Herausforderer muß ich selbst besiegen, denn er trägt besondere Kräfte mit sich…“
Die Untergebenen des ponischen Königs kamen dessen Befehl nur zögernd nach, denn sie waren besorgt ob des unheimlichen Fremden, der in der Tat über seltsame Kräfte zu gebieten schien. Doch schließlich verließen sie das Plateau. So standen sich Jokus und Gus schließlich alleine gegenüber…
Jokus blieb auch weiterhin völlig gelassen. Er dachte an eine weitere Regel, die Quorus ihm eingeschärft hatte. Es war sehr wichtig, keinen Kampf aus negativen Gefühlen heraus zu beginnen, und am besten wartete man ruhig die Attacke des Gegners ab, um dann zu reagieren. Dies bedeutete den besten Weg zum Sieg.
„Laß den Gegner kommen und konzentriere dich auf die Verteidigung. Die Kraft gilt es in aller Regel allein zur Verteidigung einzusetzen, nur in Ausnahmefällen dient sie auch zum Angriff. Doch sei sehr vorsichtig damit, denn falsch angewandt kann sie auf die dunkle Seite führen. Sie kann dich in das verwandeln, was du eigentlich bekämpfst. Und ergib dich niemals dem Haß. Wut, Zorn und Haß sind negative Energien, die das Licht ins Gegenteil verkehren. Sie führen dich unweigerlich auf die dunkle Seite.“
Jokus klangen die Worte des weisen Magiers noch allzu deutlich in den Ohren, als er sich darauf vorbereitete, den Kampf mit König Gus aufzunehmen. Und er war bereit, allen Weisungen von Quorus bedingungslos zu folgen.
Auf einmal trat der ponische König einen Schritt zurück und warf seinem Gegner wiederum einen überheblich verächtlichen Blick zu.
Gus begann mit bebender Stimme zu sprechen.
„Nun denn, mein mutiger lunischer Prinz, den Kampf habt ihr gesucht, doch euer Ende werdet ihr nun finden! Das lunische Heer, dem ihr vorstandet, ist so gut wie geschlagen und gleich ereilt der Tod auch euch. Ein großer Tag für Tor wird es sein, und ich, Gus, Herrscher von Ponien, bringe ihm diesen Sieg!“
Mit diesen triumphierenden Worten hob der Ponier auf einmal beide Arme in die Höhe und ließ seine eigene Kraft fließen. Gus sandte die dunkle Energie auch augenblicklich aus, um seinen Herausforderer zu attackieren.
Jokus wurde von einer gewaltigen Schockwelle getroffen, doch er hielt sich, durch die eigene Kraft geschützt, standhaft und regungslos auf den Beinen. Und auch ein zweiter harter Energiestoß vermochte ihn nicht umzuwerfen.
Gus intensivierte daraufhin seinen dunklen Energien noch um ein Vielfaches, die den Körper des Regenten glühen ließen…
Jokus spürte auf einmal allzu deutlich, wie die gegnerische Kraft an seinem Leib zu zerren
begann, als versuche sie, ihm sämtliche Glieder mit roher Gewalt aus dem Körper zu reißen. Doch der Prinz hatte keine Mühe, den wütenden Angriffen standzuhalten. Die Kraft, die er in sich gefunden hatte und nun zu nutzen wußte, war sein treuer Verbündeter. Und sie war der dunklen Kraft des ponischen Königs zumindest ebenbürtig, so daß sie auf die Attacken der Dunkelheit zu reagieren vermochte.
Jokus ersann eine List, mit der er seinen Gegner zu überrumpeln hoffte. Denn auf einmal sank er zu Boden und gestikulierte wie wild mit allen Gliedern, so, als ob er mehr und mehr Mühe zu haben schien, die Angriffe von Gus abzuwehren. Doch in Wirklichkeit war er stets Herr über die Lage und sich selbst.
Triumphierend lachend verstärkte König Gus den Kraftstrom aus seinem Innersten noch weiter, genau, wie Jokus dies erwartet hatte. Der Lunier paßte seine Abwehr entsprechend an und spielte äußerlich weiter den Leidenden, der kaum noch in der Lage schien, den Attacken des Poniers länger standzuhalten. Dazu stöhnte Jokus sogar laut, er spielte seine Rolle in absoluter Perfektion.
„Bringe deinen Gegner dazu, sich selbst zu überschätzen und seine Kraft bis zu einem Maß anzuwenden, das den Rahmen sprengt. Dies kann eine Option sein bei jenen, die von Macht und Gier verblendet sind. Wenn dies geschieht, dann vernichtet das Böse sich selbst, ohne, daß du selbst überhaupt eingreifen mußt.“
Auch diese mahnenden Worte des alten Magiers hafteten noch frisch in Jokus´ Gedächtnis, und genau diese Taktik wandte er nun an. Er baute auf die Selbstüberschätzung von Gus und behielt damit recht. Denn der Ponier mißbrauchte seine Kraft, ohne sich dessen bewußt zu sein. Sein Haß war übermächtig geworden, und Gus vermochte diese Gefühle nicht zu kontrollieren. Ihm zunächst verbündet, wandten sie sich am Ende gegen ihn. Ganz plötzlich kehrte die Kraft, die Gus aussandte, wieder zu ihm zurück und griff ihn selbst an.
Der Ponier begriff endlich, welchem Irrtum er verfallen war. Doch es war ihm unmöglich, den dunklen Kraftstrom, der unverwandt aus ihm herausströmte, zu beenden. Die Energie verselbstständigte sich statt dessen nur noch mehr.
Jokus stand traurig vom Boden auf und wandte sich ab. Er mochte das schreckliche Schauspiel nicht bis zum Ende verfolgen, als der vor Schmerzen brüllende ponische König von seiner eigenen Kraft in Stücke gerissen wurde.
„Magische Wesen wie Feen, Hexen oder Magier, können sich weit ins Zentrum der Kraft vorwagen und sie zu großer Macht nutzen, denn sie haben dieser Kraft ihr Leben geweiht. Doch bedenke, Jokus, wer du bist! Menschen sind keine magischen Geschöpfe, doch sie können lernen, mit der Kraft umzugehen. Vorsicht ist geboten, die Grenzen müssen beachtet werden. Wer dies nicht tut, ist verloren und wird am Ende zum Opfer der Kraft, die er zu beherrschen glaubt. So ist das Gesetz, das befolgt werden muß. Unwürdige werden von der Kraft ferngehalten, Heuchler wird sie vernichten. Doch wer sie versteht, wer sie im Innersten erfaßt und sich ihr hingibt, dem wird sie dienen. Magische Wesen dagegen kennen diese Gesetze nicht, sie sind von solchen Regeln befreit. Doch sie bezahlen einen anderen Preis für ihren Vorteil.“
Jokus hörte die mahnenden Worte seines Mentors noch in den Ohren klingen, und sie hatten sich erfüllt. Einen Moment lang dachte Jokus darüber nach, welcher Preis es sein mochte, der von Wesen wie Quorus als Gegenleistung für ihre übergroße Macht gefordert wurde. Diese Frage war ihm nicht beantwortet worden.
Schließlich beendete Jokus seine Gedankengänge und stellte sich wieder der Realität. Manche Dinge blieben vielleicht besser unbeantwortet…
Das lunische Heer kämpfte einen verzweifelten und beinahe schon aussichtslosen Kampf gegen die erdrückende Übermacht der ponischen Armee. Die Riesen hatten den Menschen solche Verluste beigefügt, daß sie ihnen mittlerweile auch zahlenmäßig überlegen waren. Außerdem wurden die lunischen Truppen von ihren Gegnern dazu noch strategisch immer mehr eingekesselt, was die Lage zusätzlich erschwerte.
In der Zwischenzeit hatten Späher der Lunier auch herausgefunden, daß sich aus dem Inneren des Landes noch eine zweite ponische Streitmacht dem Kampfschauplatz näherte. So schien es, daß die tapfer kämpfenden Lunier dem Untergang geweiht waren, wenn nicht noch irgend ein, kaum noch mögliches, Wunder geschah. Ein Wunder, an das jedoch kein Lunier mehr glauben mochte.
Die Menschen verloren langsam die Hoffnung…
Von seinem Hochplateau aus verfolgte der lunische Prinz schmerzerfüllt die grausame Schlacht, die sich immer deutlicher zugunsten der Ponier neigte. Er sah, wie seine Männer verzweifelt gegen den Untergang kämpften, und wie sie doch reihenweise vom Feind getötet wurden.
Ohnmächtige Wut begann Jokus zu erfüllen.
„Jokus, eines vergiß bitte nie! Du trägst die Kraft in dir und du weißt sie jetzt auch anzuwenden. Laß dich nie von der Finsternis verführen, gib dem Bösen keinen Raum in dir. Egal, was geschieht, was auch immer passieren mag, folge nur dem Licht und der Liebe. Wenn du dich Zorn oder Haß hingibst, wenn falsche Gefühle dich leiten, dann betrittst du einen gefährlichen Pfad. Sei immer und überall auf der Hut, oder die Dunkelheit wird am Ende auch dich verschlingen.“
Die letzten Worte von Quorus kamen Jokus wieder mahnend in den Sinn, als die Verzweiflung ihn zu übermannen drohte. Aber schließlich, beim Anblick seiner leidenden Männer, ließ der lunische Prinz alle Vernunft fahren.
Jokus vermochte die grenzenlose Wut nicht länger zu bändigen. Er konnte nicht einfach dastehen und nichts tun, er mußte seinen Kriegern helfen. Und wenn schon der Untergang Luniens nicht mehr abzuwenden war, dann würde Jokus das einzige tun, das noch übrig blieb. Er würde so viele Ponier wie nur irgend möglich mit in den Tod reißen.
Das Herz des Luniers verhärtete sich abrupt und der Prinz brach das Versprechen, das er Quorus gegeben hatte.
„Vergib mir, Quorus…“
Jokus griff in die grausam tobende Schlacht ein…
Wie eine geballte Naturgewalt fuhr Jokus zwischen die überraschten Ponier, als er einfach aus dem Nichts heraus unter ihnen auftauchte und sie augenblicklich mit Hilfe seiner entfesselten Kraft zu attackieren begann. Sein Zorn machte den lunischen Prinzen fast rasend, und das Schwert, das er führte, mähte die Gegner reihenweise nieder.
Jokus wütete schwer unter den Riesen, keine Waffe vermochte der seinen standzuhalten. Und kein Riese, war er körperlich auch noch so kräftig, hatte dem mit der Kraft verbundenen Lunier etwas entgegenzusetzen.
Jokus gab sich seinem Zorn immer mehr hin, er wurde eins mit ihm. Und der Haß drohte ihn völlig zu übermannen.
„Verfluchte Hunde“, brüllte der lunische Prinz in seinem rasendem Zorn. „Elende Bestien! Verdammt sein sollt ihr alle auf ewig! Kommt nur her und versucht mich aufzuhalten! Kommt her und kämpft gegen mich, damit ich euch gebe, was ihr verdient! Kommt her und empfangt eure Vernichtung!“
Immer wieder schlug das Schwert von Jokus zu, immer wieder tötete es wie von Geisterhand so rasend schnell geführt jeden neuen Angreifer. Die Kraft in Jokus begann dabei beständig weiter anzuschwellen, doch der Prinz merkte nicht, wie er zunehmend die Kontrolle verlor.
Irgendwann begannen die Ponier plötzlich zurückzuweichen, als sie erkannten, daß sie gegen Jokus nichts auszurichten vermochten. Sie führten nur noch Scheinattacken durch, doch der Lunier war bereits blind vor Haß, so daß er nichts merkte. So brachte sich schließlich ein Ponier, bewaffnet mit Pfeil und Bogen, in eine günstige Schußposition und feuerte alsbald einen, zuvor noch mit Gift getränkten, Pfeil auf Jokus ab, und der gefiederte Bote des Todes schoß direkt in dessen rechte Schulter…
Der lunische Prinz stöhnte laut auf, und das wütende Toben in ihm erstarb wie jäh. Im nächsten Moment stürzte er auch schon zu Boden. Die Ponier ringsherum beachteten ihn gar nicht mehr, sondern wandten sich wieder dem lunischen Heer zu.
Jokus lag wie gelähmt auf dem Boden, das Gift in seinem Körper begann schnell Wirkung zu zeigen. Der Lunier begriff, welch einen furchtbaren Fehler er gemacht hatte, er wußte, daß nun endgültig alles verloren war.
„Jokus! Warum hörtest du nicht auf meine Worte? Warum hast du dich dem Haß ergeben und angegriffen? Du hast der Dunkelheit Raum in dir gegeben, und die Kraft hat dich verlassen. Doch du mußt leben, weil du unsere einzige Hoffnung bist. Ohne dich ist alles auf ewig dem Untergang geweiht…“
Wie aus einer anderen Dimension drangen die ernsten Worte von Quorus an die Ohren von Jokus, der Mühe hatte, seine Augen noch länger offen zu halten. Die Schatten tiefer Ohnmacht umfingen ihn schon, um ihm das Bewußtsein zu rauben.
Der lunische Prinz streckte verzweifelt einen Arm aus.
„Quorus! Bitte…hilf mir…“
Nur ganz leise waren die hoffnungslosen Worte über die Lippen des lunischen Prinzen gekommen, denn niemand war da, um sie zu hören. Jokus lag völlig allein und schwer verwundet auf dem Schlachtfeld in Ponien.
„Jokus! Du mußt leben…“
Die Worte des alten, lunischen Weisen klangen immer hallend noch in den Ohren des Prinzen, als sich dieser im letzten Augenblick doch noch auf die eigentliche Kraft besann, die in ihm war, auf die Kraft des Lichtes.
Alles, was er an Konzentration und Willen noch in sich trug, ballte Jokus nun zusammen und richtete es auf den in seinem Körper steckenden Pfeil. Und schließlich war nichts anderes mehr übrig, die Welt um den verletzten Lunier herum schien sich einmal mehr aufgelöst zu haben. Nur Jokus selbst existierte noch – und der Pfeil.
Auf einmal fühlte Jokus sich ganz leicht, und frei von jeglichem Zorn oder Haß, nichts Dunkles war mehr in ihm. Die Kraft begann ihn neu zu durchströmen und Frieden umfing ein zu Verzweiflung aufgewühltes Herz.
Ganz plötzlich begann der Pfeil in der Schulter des Lunier leicht zu wackeln, bis er sich schließlich binnen weniger Sekunden einfach auflöste. Ebenso die tiefe Wunde heilte in Sekundenschnelle, ganz wie von Geisterhand. Einen Moment lang lächelte der lunische Prinz wie von schwerer Last befreit und seufzte dabei tief. Dann schwanden ihm endgültig die Sinne…
Gerade, als sich das Heer der bis zum Ende tapfer kämpfenden Lunier langsam, aber sicher im Chaos aufzulösen begann, geschah es doch noch völlig unverhofft, das längst nicht mehr für möglich gehaltene Wunder.
Ganz plötzlich und unerwartet stürmten von Süden und Westen neue Truppen den Kampfschauplatz; doch es waren nicht die Ponier. An ihrer statt wälzte sich von Süden kommend ein riesiges Heer von Elfen heran, während aus westlicher Richtung Schwärme von Einhörnern aus der Luft über die völlig überraschten Ponier herfielen.
Die Schlacht zwischen den verfeindeten Parteien wütete grausam, doch schnell veränderte sich das Bild deutlich. Die Ponier waren auf einmal hoffnungslos in der Unterzahl – und die Lunier konnten wieder Hoffnung schöpfen.
Wie neu belebt und laut jubelnd stürzten sich die Menschen gemeinsam mit ihren unverhofften Verbündeten aus Elbien und Amon fast enthusiastisch zurück in die wogende Schlacht, und in gemeinsamer Anstrengung wurden die Riesen schließlich immer weiter zurückgetrieben.
Vertus, der das Wunder kaum fassen konnte, wandte sich an einen Elfenkrieger, der ihm gerade geholfen hatte, zwei Ponier zu besiegen, welche den Lunier zuvor schwer bedrängt hatten. Jetzt lagen die Feinde tot am Boden.
Vertus formulierte seinen Dank.
„Also ehrlich“, schüttelte der Lunier den Kopf, „ich weiß nicht, wie ihr auf einmal hierher gekommen seid, aber ihr seid uns mehr als willkommen! Denn euch verdanken wir, daß unser Heer nicht untergehen wird! Und daneben schulde ich euch auch noch mein Leben, das werde ich euch bestimmt niemals vergessen!““
Der Elbier nickte knapp mit dem Kopf.
„Wir alle dienen der selben Sache“, antwortet der junge Krieger mit ernstem Blick, „deshalb wurden wir ausgesandt!“
Die Armee der Ponier wurde immer weiter zurückgedrängt, bis sie sich schließlich völlig auflöste. Die Riesen ergriffen die Flucht. Sie entfernten sich in alle Richtungen, doch Unzählige blieben getötet auf dem Schlachtfeld zurück…
Der Kampf war zu Ende. So kehrte allmählich Ruhe über dem Schlachtfeld ein, auf dem die drei siegreichen Heere zunächst ihre Stellungen sicherten. Danach wurden die Verwundeten versorgt und die Toten begraben, die kaum zu zählen waren. Massengräber mußten ausgehoben werden, eine wahrlich traurige Arbeit, die von tiefem Schweigen und Trauer begleitet wurden.
Schließlich begannen die Elfen damit, Zelte aufzustellen und ein befestigtes Lager für die Nacht zu errichten, da die Dämmerung bereits einzusetzen begann. Feuer wurden ringsherum entzündet und Wachposten aufgestellt. Dazu patrouillierten beständig berittene Einheiten um das ganze Gebiet und Späher wurden in alle Richtungen ausgesandt. Doch von neuer Gefahr vermochten sie nichts zu berichten, der Schock unter den Riesen saß tief, und ihr Heer war zu einem Großteil vernichtet.
Auch das neue, zweite ponische Heer marschierte nicht mehr länger auf die Feinde zu, es war ob der unerwarteten Ereignisse zum Stillstand gekommen.
Schließlich hielten die Riesen ihre Stellung in den ponischen Bergen, wohl wissend, daß sie
gegen die vereinigte Kraft von Menschen, Elfen und Einhörnern nichts auszurichten vermochte. Dieser Krieg war für die Riesen verloren…
Mit der Nacht kehrten endlich ruhe und Frieden in das Lager der verbündeten Streitmächte aus Lunien, Elbien und Amon ein. Doch die Freude über den Sieg hielt sich in Grenzen, ob der schweren Verluste, die es zu beklagen galt.
Die Angehörigen der drei verbündeten Völker hatten sich inzwischen völlig untereinander vermischt und saßen an den unzähligen Lagerfeuern zusammen, um Gedanken und Gefühle auszutauschen. So viel war an diesem bedeutenden Tag geschehen, und gerade für die Lunier hatte sich ein Wunder erfüllt. So weit das Auge auch reichte, es erblickte nichts anderes, als friedlich vereinte Menschen, Elfen und Einhörner…
Nur ganz allmählich kehrte Jokus aus seiner tiefen Bewußtlosigkeit in die reale Welt zurück, und noch zögernd öffnete er die Augen.
Der lunische Prinz lag in einem Zelt auf einer Art Bett aus Holz und Decken, das eigens für ihn angefertigt worden war. Und das erste, was er erblickte, war sein Freund Vertus. Dieser lächelte ihn erleichtert an.
Vertus atmete erleichtert auf.
„Nun, Jokus, wieder unter den Lebenden?“, fragte Vertus freudig. „Ich muß sagen, du hast uns ganz schön erschreckt, als wir dich fanden. Du warst mehr tot als lebendig und wir haben uns große Sorgen um dich gemacht!“
Jokus lächelte seinen Freund dankbar an. Der lunische Heerführer reckte seine schmerzenden Glieder, bevor er antwortete.
„Es sieht so aus, daß ihr mich wieder einigermaßen hingekriegt habt, mein Freund“, stellte Jokus fest. „Aber was ist mit dir? Es scheint mir, daß du unverletzt aus der Schlacht hervorgegangen bist. Ist Tetrus auch in der Nähe?“
Das Lächeln auf Vertus´ Gesicht erstarb wie jäh und er senkte den Blick. Die Trauer kehrte wieder zurück, die er für einige Zeit erfolgreich verdrängt hatte, so lange die Schlacht seine Aufmerksamkeit ganz für sich beansprucht hatte.
Auf einmal, da Jokus die Frage nach Tetrus stellte, kehrte die traurige Wahrheit wieder zurück. Jokus merkte sofort, daß etwas nicht stimmte. Ein fürchterlicher Verdacht keimte in dem Prinzen auf, doch Jokus wagte nicht auszusprechen, was er dachte. Doch die Gefühle waren eindeutig.
„Tetrus! Was ist mit ihm…?“
Vertus schüttelte tief durchatmend den Kopf. Noch immer konnte er nicht fassen, was Tetrus ihm noch im Tode offenbart hatte.
„Er ist gefallen, Jokus“, berichtete Vertus niedergeschlagen. „Ich habe noch versucht, ihm zu helfen, aber ich kam zu spät. Ich konnte nichts mehr tun. Einer dieser verdammten Ponier hat ihn erschlagen!“
Auch Jokus senkte nun schockiert den Kopf, auch ihm rauschten nun Bilder einer alten, wunderbaren Freundschaft durch den Kopf.
Der lunische Prinz vermochte kaum zu glauben, daß Tetrus nicht mehr dasein sollte, und ein tiefer Schmerz erfaßte ihn.
„Es ist so furchtbar, Vertus“, drückte Jokus seine tiefe Traurigkeit aus. „Wäre ich doch nur bei euch gewesen…“
Vertus schüttelte den Kopf.
„Auch du hättest das nicht verhindern können, Jokus“, sprach Vertus leise, „denn niemand kann dem Schicksal trotzen. Doch wie auch immer, es ist nun einmal geschehen. Wir müssen damit fertig werden, denn das Leben geht weiter. Und wir haben eine so bedeutsame Mission zu erfüllen, daß keine Zeit zum Trauern bleibt…“
Vertus blickte entschlossen wieder auf.
„Das letzte, was mir Tetrus noch gesagt hat“, berichtete der lunische junge Krieger war ernst, „war, daß wir den Kampf für ihn unbedingt fortsetzen sollen, dies ist sein letzter Wunsch gewesen. Und genau das habe ich auch vor zu tun, ich werde kämpfen, bis zu meinem letzten Atemzug!“
Jokus nickte zustimmend mit dem Kopf.
„Das werden wir beide, Vertus, glaube mir“, stimmte der Prinz seinem Freund zu. „Tetrus war uns beiden der beste Freund und wir sind seinem Andenken verpflichtet! Ich wünschte nur, daß ich wenigstens auch noch hätte Abschied von ihm nehmen können, denn so bleibt sein Tod für mich einfach immer nicht greifbar…“
Vertus atmete tief durch und blickte dann entschlossen auf. Die beiden Freunde mußten jetzt in der Tat sehr stark sein.
„Ich bin froh, daß ich wenigstens dich gesund und munter wieder habe, Jokus“, bekannte Vertus ehrlich. „Nach dem Tode von Tetrus befürchtete ich schon das Schlimmste! Ich glaubte bereits, auch dich verloren zu haben…“
Der lunische Prinz erwiderte den Blick seines Freundes lächelnd, während er sich an den Rand des Bettes setzte.
„Nun, so schnell wirst du mich nicht los, mein Freund“, gab Jokus zurück, „denn ich bin hartnäckig! Nun werden wir beide die Reise alleine fortsetzen müssen, wie es das Schicksal von uns fordert…“
Jokus atmete einmal tief durch.
„Wir haben uns alle geschworen, den Kampf bis zum letzten Atemzug fortzusetzen“, führte der Prinz weiter aus, „und – he, einen Moment mal! Ich habe unsere Schlacht fast vergessen! Was ist hier eigentlich los? Es ist alles so ruhig – was ist denn aus dem Krieg geworden? Und wie kommt eigentlich dieses Zelt hierher…?“
Erst in diesem Moment hatte der lunische Prinz verwirrt festgestellt, daß irgend etwas um ihn herum nicht stimmte. Und so klärte Vertus ihn dann darüber auf, was in der Zwischenzeit geschehen war, seit Jokus das Bewußtsein verloren hatte…
Der lunische König vermochte kaum zu fassen, was er gehört hatte, und er glaubte schließlich tatsächlich, einen Moment lang zu träumen.
Irgendwann ergriff der Prinz dann leise das Wort.
„Es ist kaum zu fassen, Vertus“, erklärte Jokus, „ganz ehrlich! Bevor ich das Bewußtsein verlor, habe ich noch gedacht, daß uns nur noch ein Wunder retten kann! Und genau solch ein Wunder ist tatsächlich eingetreten. In dem Augenblick, als ich die Hoffnung aufgeben wollte, hat sich alles doch noch zum Guten gewandt…“
Vertus nickte zustimmend mit dem Kopf.
„Ehrlich gesagt, mir erging es ebenso“, gab Vertus zu. „Ich brauchte einige Zeit, diese Wandlung der Dinge zu begreifen.“
Der lunische Thronfolger erhob sich nun endgültig von seinem Bett, auch, wenn er zunächst noch etwas unsicher auf den Beinen stand.
Jokus legte Vertus die Hand auf die Schulter.
„Dieses Mal war das Glück wirklich auf unserer Seite“, sagte Jokus, „und nicht zu knapp! Viel hätte nicht gefehlt, und wir alle hätten das Schicksal von Tetrus geteilt. Doch wie auch immer, jetzt ist es an der Zeit, unsere neuen Verbündeten zu begrüßen! Ich nehme an, du hast schon mit ihnen gesprochen?“
Vertus nickte bestätigend mit dem Kopf.
„Das habe ich in der Tat, Jokus“, berichtete Vertus seinem Freund, „und die Vertreter der Elfen und Einhörner werden später zu uns kommen. Wir wollten abwarten, bis du genesen bist, damit du an den Gesprächen teilnehmen kannst. Wenn du einverstanden bist, kann ich auch sofort nach ihnen schicken lassen, sie warten nur auf ein Zeichen. Diese Entscheidung liegt bei dir.“
Jokus nickte lächelnd mit dem Kopf. Der Lunier fühlte sich bereits wieder stark genug, um die Delegierten der Einhörner und Elfen zu empfangen.
„Ich bin bereit, Vertus“, sagte Jokus mit fester Stimme. „Die Einhörner kennen wir ja bereits, aber ich bin sehr gespannt, die Elfen zu begrüßen. So lange ich lebe, habe ich nie einen Elbier gesehen, aber ich habe mir dies immer so gewünscht. Allerdings würde ich zu gerne wissen, was du mir voraus hast, das dich so vielsagend lächeln läßt…!? Irgend etwas verbirgst du noch vor mir…“
Vertus zuckte einmal knapp mit den Achseln.
„Ach, nichts, einfach nur so…“
Der lunische Thronfolger schüttelte den Kopf, während er die Stirn in Falten legte. Jokus kannte seinen Freund gut genug, um es besser zu wissen.
„Mach mir nichts vor, Vertus“, sagte der Prinz. „Wir beide kennen uns wahrlich lange genug, damit ich erkenne, wann du etwas vor mir zu verbergen suchst. Du weißt irgend etwas – also heraus damit! Was ist es, das dich nunmehr offensichtlich auch noch belustigt? Du schuldest mir eine Erklärung!“
Vertus spielte den Unschuldigen und zuckte dabei mit den Achseln.
„Du bist einfach zu ungeduldig, Jokus“, meinte Vertus betont geheimnisvoll, „aber na gut, da gibt es wirklich etwas. Doch was immer du auch sagst oder tust, ich werde es dir noch nicht verraten. Ein bißchen Geduld schadet nicht, laß dich einfach überraschen. Du wirst mich bald verstehen…“
Jokus seufzte einmal tief.
„Meinst du? Jetzt hast du mich nur noch neugieriger gemacht, Vertus“, sagte der lunische Prinz, „aber so etwas konntest du ja schon immer gut. Also, geh schon und hole die Führer der anderen Rassen! Sonst schafft am Ende noch meine bohrende Neugier, was die Ponier nicht erreicht haben, mein alter Freund…“
Vertus klopfte seinem Freund grinsend auf die Schulter und verließ dann schnellen Schrittes das Zelt. Vor dem Eingang jedoch blieb er erst noch einmal kurz stehen, und sein Gesicht nahm ebenso ernste wie traurige Züge an.
Vertus hatte Jokus nichts von der Eröffnung seines Bruders vor dessen Tode erzählt. Er hatte sich bewußt dafür entschieden, um erst alleine mit dieser Erkenntnis klar zu kommen, um dieses Wissen zuerst selbst zu verarbeiten. Später einmal, wenn Ort und Zeit gegeben waren, würde Vertus seinem Freund die Wahrheit offenbaren. Doch nicht jetzt, nicht heute. Und gewiß auch noch nicht am kommenden Tag.
Seufzend machte sich der Lunier wieder auf den Weg…
Jokus blieb allein zurück und dachte erst einmal über alles nach, was geschehen war. Ihm war bewußt, wie falsch er sich selbst verhalten hatte, und wie glücklich er sein konnte, überhaupt noch am Leben zu sein. Dies verdankte er jedoch nicht zuletzt Quorus.
Schließlich kehrte der tiefe Schmerz zurück, die Trauer über den Verlust seines guten Freundes Tetrus. Und vor seinem inneren Auge erblickte Jokus ihn plötzlich noch einmal. Er sah die Bilder aus glücklicheren Tagen, als Jokus, Tetrus und Vertus gemeinsam eine unbeschwerte Kindheit erlebt hatten. Und jetzt war Tetrus tot.
Jokus verließ schließlich ebenfalls das Zelt, um sich vor der Rückkehr von Vertus mit den Delegierten noch ein wenig die Beine zu vertreten…
Jokus lief ein wenig durch das riesige Lager der verbündeten Völker, während ihm die neue, mächtige Allianz erst richtig bewußt wurde. Es war ein unglaublicher Anblick, Menschen, Elfen und Einhörner friedvoll vereint zu erleben, und den Beginn eines starken Bündnisses, welches den Tyrannen Tor am Ende stürzen sollte.
Jokus fühlte, wie ihn die Hoffnung, welche er schon verloren geglaubt hatte, wieder neu zu beleben begann. Der lunische Prinz glaubte zum ersten Mal wirklich, daß es möglich sein konnte, den mächtigen Tor tatsächlich zu besiegen.
Jokus schritt weiter langsam durch das Lager, als auf einmal eine kleine Gruppe verwundeter Lunier seine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Der Prinz glaubte plötzlich, ein bekanntes Gesicht zu erkennen, und er lief auf die Gruppe Verwunderter, die von einigen Heilern betreut wurden, zu…
Jokus kniete neben einem der verletzten Lunier, während sein Gesicht tiefe Erschütterung zeigte. Der lunische Prinz kannte den Verwundeten tatsächlich, der nicht bei Bewußtsein war. Denn der junge Krieger war im königlichen Palast ein und ausgegangen, und Jokus konnte sich sogar an den Namen erinnern. Schließlich hatte der junge Mann zur königlichen Leibgarde seines Vaters gehört und sich öfter mit Jokus unterhalten.
Jokus schüttelte tief seufzend den Kopf.
„Lor! Ich hoffe, daß ihr wieder auf die Beine kommt“, flüsterte Jokus traurig, „mein Vater würde euch gewiß vermissen. Und ich auch…“
Einer der lunischen Heiler trat an die Seite des Prinzen, woraufhin sich dieser sogleich wieder vom Boden erhob.
„Wie steht es um ihn“, fragte Jokus den Heiler besorgt. „Ich kenne Lor aus dem königlichen Palast. Er ist noch so jung…“
Der Heiler nickte ernst mit dem Kopf.
„In der Tat, mein Prinz“, bestätigte der Heiler leise, „und er liegt im Sterben. Es tut mir leid, aber wir können leider gar nichts mehr für ihn tun, denn seine Verletzung ist zu schwer. Es ist lediglich noch eine Frage der Zeit…“
Jokus sah den Heiler erschüttert an.
„Ich habe heute schon einen guten Freund verloren“, sagte Jokus bestürzt, „und jetzt stirbt auch noch Lor. So viele sind gefallen, und weitere Lunier liegen noch im Sterben. Es ist ein schwarzer Tag für unser Volk, auch wenn die Schlacht am Ende siegreich beendet wurde. Aber dieser Sieg kommt uns zu teuer zu stehen…“
Jokus richtete den Blick wieder auf den jungen, lunischen Krieger, während der Heiler nach dem nächsten Verwundeten sah. Der lunische Prinz kniete derweil erneut neben Lor, um ihn in den letzten Augenblicken seines Lebens nicht alleine zu lassen.
Jokus hielt die Hand des Leibgardisten seines Vaters, bis Lor schließlich für immer die Augen schloß. Doch auch danach blieb der Prinz noch eine ganze Weile an der Seite des gefallenen Kriegers, bis er sich wieder zurück auf den Weg zu seinem Zelt machte.
Jokus seufzte einmal ganz tief. Seine Vorfreude auf die Begegnung mit den Elfen war auf einmal merklich getrübt…
Der lunische Thronfolger erreichte das Zelt kurz bevor Vertus mit der Delegation aus Elbien und Amon zurückkehrte.
Zwei Elfen und zwei Einhörner betraten schließlich an der Seite von Vertus das Zelt, die restlichen Begleiter warteten draußen.
Jokus nickte Erhorf, dem Führer der Einhörner, lächelnd zu, den er ja bereits kennengelernt hatte. Um so mehr freute er sich nun, ihn an diesem unerwarteten Ort wieder zu treffen. Offensichtlich hatte Erhorf seine Meinung geändert, was den Feldzug gegen den Tyrannen Tor betraf. Und der Führer Amons erwiderte das dankbare Lächeln des Luniers, was Jokus wiederum zutiefst bewegte.
Der Lunier richtete seinen Blick schließlich auf die beiden Elfen, die in stolzer Haltung und mit ernsten Gesichtern vor ihm standen. Der lunische Prinz sagte zunächst kein Wort, sondern betrachtete sich die zwei Elbier nur interessiert.
Der eine Elf schien um einige Jahre älter zu sein als Jokus, und er war in ein weißes Gewand gekleidet. Um den Bauch trug er einen schwarzen Gürtel, während dazu noch ein schwarzer Umhang seinen Rücken zierte.
Das Haar des Elfenkriegers war schon ein wenig ergraut und zwei Narben im Gesicht zeugten davon, daß er schon so manche Schlacht geschlagen hatte.
Rein äußerlich unterschieden sich die Elfen nur durch ihre längeren, nach oben hin spitz verlaufenden Ohren und die Augenbrauen, die nach hinten weg ebenfalls aufwärts verliefen. Auch waren die Elfen von ihrem Körperbau her schmächtiger und im Schnitt etwas kleiner als die Menschen. Ansonsten unterschieden sie sich nicht von ihnen…
Jokus war sich sicher, daß der ältere Elf der Anführer der elbischen Delegation war, vielleicht sogar ihr König. Rätsel gab ihm dagegen der Begleiter des Älteren auf, ein junge Frau, die so gar nicht dem Bild entsprach, welches Jokus von den Elfen in sich getragen hatte. Offensichtlich durften elbische Frauen, ganz im Gegensatz zu den Lunierinnen, auch in der Armee dienen und dort sogar noch hohe Ämter bekleiden.
Die junge Frau war ganz in eine Kriegsmontur gekleidet, eine Art leichte Rüstung, die jedoch nur Arme, Beine und Blöße der Elfe bedeckte. An ihrer Rüstung trug die Frau Schwert und Messer, und Jokus war sich völlig sicher, daß sie auch damit umzugehen verstand.
Die Elfe besaß eine schlanke, fast zierliche Gestalt, ohne dabei zerbrechlich zu wirken. Sie trug langes, blondgewelltes Haar, welches ihr, zu einem kunstvollen Zopf zusammengeflochten, aus dem Helm weit bis auf den Rücken herabfiel. Stolz und sichtlich entschlossen stand sie unbeweglich neben dem älteren Elf…
Der lunische Prinz hatte seine Besucher aus Elbien eine ganze Weile schweigend gemustert, während eine fast feierliche Stille über dem Zelt lag.
Schließlich ergriff Jokus mit feierlicher Stimme tief bewegt das Wort, welches er direkt an die beiden Elbier richtete.
„Ich grüße euch, tapfere Krieger aus Elbien“, sprach der Prinz mit leicht bebender Stimme. „Es ist lange her, daß unsere beiden Völker ihren letzten Kontakt hatten. Und auch, wenn der Anlaß nicht angenehm ist, so freue ich mich in diesem Augenblick doch ganz besonders. Ich bin Jokus, Prinz von Lunien und Anführer des lunischen Heeres, welches ihr vor dem Untergang bewahrt habt…“
Jokus nickte lächelnd mit dem Kopf.
„Nun würde ich sehr gerne erfahren“, fuhr der lunische Thronfolger fort, „wer uns hier die Ehre des Besuches gibt, und wem wir unsere Rettung mit verdanken.“
Nicht der ältere Elf, sondern die junge Frau trat nun einen Schritt vor und blickte Jokus tief in die Augen, bevor sie ihn ansprach. Ihre Stimme klang dabei sachlich und zurückhaltend, während das Gesicht keine Regung zeigte.
„Ich bin Efli, Prinzessin von Elbien“, sagte die Elfe zur Überraschung von Jokus, „und ich stehe den elbischen Truppen in Vertretung meines Vaters vor. König El erwartet euch in Ela, unserer Hauptstadt. Dorthin werden wir euch morgen führen, um das feindliche Land so schnell wir möglich wieder zu verlassen.“
Jokus warf Vertus einen vielsagenden Blick zu und sein Freund lächelte kopfnickend. Inzwischen verstand Jokus dessen Reaktion von zuvor, denn ausgerechnet einer Kriegerin zu begegnen, die dem elbischen Heer vorstand, war für die beiden lunischen Männer in der Tat ungewöhnlich.
Der lunische Prinz wandte sich wieder Efli zu.
„Wir werden euch gerne folgen, Efli“, nahm der Prinz das Angebot dankbar an, „denn Elbien war sowieso unser beabsichtigtes Ziel. Leider hatten die Ponier etwas dagegen einzuwenden. Doch wie kam es nun eigentlich, daß ihr gerade noch zur rechten Zeit bei uns wart? Wir hätten es am Ende niemals alleine geschafft…“
Efli verzog noch immer keine Mine. Und Jokus fragte sich innerlich, ob sich die Elbierin bewußt so distanziert verhielt.
„Mein Vater hat uns ausgesandt“, berichtete die Prinzessin, „um der Kraft zu gehorchen, die ihm zu handeln gebot. Er fühlte, was die Stunde geschlagen hatte, daß die Barriere zwischen unseren Völkern, in Form des großen Grabens, endlich durchbrochen war. Er hat euch gesehen, die ihr euer Land verlassen habt, um den großen Feldzug gegen Tor zu beginnen. Und da wußte mein Vater, daß auch für uns der Augenblick der Entscheidung gekommen war. Das Volk der Elfen schließt sich somit dem Feldzug gegen Tor an. Wir werden von nun an fest an eurer Seite kämpfen!“
Bevor Jokus der Elbierin antworten konnte, trat Erhorf auf einmal vor und ergriff zuerst das Wort. Der Amoner sprach mit leiser, aber fester Stimme, und irgendwie glaubte Jokus, etwas feierliches darin zu entdecken.
„Auch wir Einhörner sind hier, um uns diesem Feldzug nun doch anzuschließen, Jokus“, gab der führende Amoner zu verstehen. „Schon bei unserer ersten Begegnung stand die Entscheidung fest, doch ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Ich habe die Gefühle verdrängt, die aus der Kraft heraus ganz eindeutig zu mir gesprochen haben. Es kann keinen Frieden geben, nirgendwo auf ganz Ventraktor, solange das Böse nicht ausgemerzt ist. Und dies ist die Pflicht und Schuldigkeit aller Völker, gegen die Finsternis anzukämpfen, nicht nur die, eines einzelnen. Diesen Fehler habe ich noch zur rechten Zeit eingesehen und deshalb sind wir hier.“
Jokus nickte verständnisvoll mit dem Kopf, während er dem amonischen Führer tief in die Augen schaute.
„Ich war euch nicht böse, ob eurer ersten Entscheidung, Erhorf“, bekannte Jokus offen, „denn ich konnte sie nur zu gut verstehen. Deshalb haben wir euren Entschluß auch akzeptiert. Aber ich habe auch eure Augen gesehen, die mir zeigten, daß euer Herz zweierlei Sprachen redete. Denn die Kraft hatte bereits eine Verbindung geschaffen, die unsere Herzen verband, doch ihr hattet das eurige dem Unvermeidlichen verschlossen. Ich mußte dies respektieren, und deshalb sind wir dann ohne euch weitergezogen.“
Erhorf lächelte schwach.
„Ihr habt völlig richtig beobachtet, Jokus“, stimmte Erhorf dem lunischen Prinzen zu, „die Kraft hat mir den Weg gewiesen. Ich fühlte sie auch in euch wirken, vom ersten Moment an, da wir uns begegnet sind. Es war einfach Bestimmung, daß wir so zusammengekommen sind, und es war gleichfalls Bestimmung, daß wir uns euch anschließen sollten. Ich wollte mich dieser Wahrheit jedoch zunächst verschließen und alles verdrängen, was mir die Gefühle rieten. Doch mein Gewissen ließ mir keine Ruhe, denn ich fühlte Schuld, die als schwere Last auf meinen Schultern lag. Doch schließlich, nach intensiven Beratungen mit meinem Volk, habe ich den Fehler eingesehen und mich neu entschieden. Ich konnte gar nicht anders, als dem Ruf der Kraft zu folgen. Anderenfalls hätte ich mir nur selbst geschadet – und meinem Volk.“
Der lunische Prinz nickte abermals zustimmend mit dem Kopf. Er fühlte große Freude in sich,
und unbeschreibliche Erleichterung. Das erhoffte Bündnis dreier Völker hatte nun tatsächlich Gestalt angenommen.
Jokus nickte Erhorf freundlich zu.
„Ich danke euch für diese weise Entscheidung, Erhorf“, sprach der Lunier freudig. „Ihr seid wirklich im letzten Augenblick zu uns gestoßen, sonst wäre unser Feldzug bereits zu Ende gewesen, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte. Die Kraft wirkt in uns allen, denn sie hat uns zusammengebracht und uns zu einem ersten, großen Sieg verholfen. Jetzt kann unser Feldzug hoffnungsvoll weitergehen, jetzt fängt er eigentlich erst wirklich an. Und zum ersten Mal beginne ich jetzt auch an unsere Chance zu glauben, daß der Endsieg mit Hilfe der Kraft wirklich möglich ist. Es ist ein so wichtiger Tag für uns alle, für unsere Völker und ganz Ventraktor…“
Für einige Augenblicke mußte Jokus an sein Versagen in der Schlacht zurückdenken, und was er durch seinem Leichtsinn aufs Spiel gesetzt hatte. Doch er verdrängte das beschämende Gefühl und verschloß es im Herzen.
Die versammelten Führer der drei Völker reichten sich schließlich bedeutsam die Hände, um damit ihren neu geschlossenen Bund zu besiegeln. Vertus und Jokus lernten so außerdem noch Ersof kennen, den engsten Vertrauten von Erhorf, und Elus, den Heerführer Elbiens, der Efli direkt unterstand und sie stets begleitete.
Jokus ergriff noch einmal das Wort.
„Wir wollen den Vorschlag Efli’s annehmen, die kommende Nacht noch ausruhen“, wandte sich Jokus an die versammelte Gruppe, „und morgen nach Elbien aufbrechen. Denn diese Erholung wird uns allen guttun.“
Die kleine Gruppe von Anführern aus drei versammelten Völkern unterhielt sich noch eine ganze Weile miteinander über den großen Sieg, den ihre Rassen an diesem bedeutenden Tag gemeinsam errungen hatten. Auch die beiden Elfen zeigten sich dann schließlich zunehmend freundlicher und offener, so daß eine neue, tiefe Freundschaft zwischen den drei lange Zeit isoliert lebenden Völkern ihren Anfang nehmen konnte…
Das hektische Treiben in der Hauptstadt Torniens nahm unverändert seinen Fortgang. So fielen auch dieses Mal die fünf Gnomen nicht weiter auf, die sich Tor aus der Luft auf ihren Riesenadlern näherten und zur Landung ansetzten.
Auf einem größeren freien Platz angekommen bahnten sich die fünf Gnomier rasch ihren Weg durch die Masse der Bewohner, welche die Straßen teilweise massiv blockierten und verstopften. Ein Vorwärtskommen schien manches mal fast unmöglich.
Die entschlossenen Gnomen ließen sich durch dieses turbulente Treiben nicht an ihrem Vorhaben hindern, sondern erkämpften sich unerbittlich ihren Weg. Die Nachrichten, die sie mit sich führten, waren einfach zu bedeutend.
Die finster dreinblickenden Gnomier eilten geradewegs auf das Zentrum der riesigen Stadt zu, den Herrscherturm von Tor! Das alles überragende, pechschwarze Bauwerk, Sitz des höchsten Herrschers, war ihr Ziel.
Niemand hielt die fünf Gnomier auf, so daß sie schließlich ungehindert vor dem Thronsaal des Regenten standen, der wiederum von einem grimmig aussehenden Ponier bewacht wurde. Doch der Riese machte den Gnomen sofort Platz.
Die fünf Gnomier sahen sich noch einmal kurz fest entschlossen an, dann betraten sie den dunklen Thronsaal des Herrschers…
Im fernen Land Hesk saßen König Jok und Quorus im Nachtlager der Lunier an einer der vielen Feuerstellen zusammen und unterhielten sich, während sich der größte Teil der Krieger bereits schlafen gelegt hatte. Quorus konnte daran noch nicht denken, da er ein Versprechen einzulösen hatte, das ihm jedoch schwer auf der Seele lastete.
Jok hatte schon einige Zeit schweigend dem Spiel des Feuers zugeschaut und geduldig abgewartet, bis Quorus schließlich zu sprechen anfing. Dabei hielt der alte Magier den Kopf gesenkt, während seine Augen wie gebannt den Boden anstarrten.
„Nun denn, Jok“, begann der Magier mit gedämpfter Stimme, „es hat keinen Sinn, länger hinauszuzögern, was mir schon so lange die Seele beschwert. Heute sollst du die Wahrheit erfahren, dem einzigen, dem ich sie je anzuvertrauen vermag.“
Quorus hielt einen Moment lang inne, um schließlich seufzend fortzufahren. Dabei rührte sich der alte Mann nicht mehr.
„Wie du schon ganz richtig vermutest“, gestand Quorus nun endlich ein, „hat Hes und mich einstmals mehr verbunden als nur bloße Feindschaft. Es ist nicht immer so gewesen, genauso wenig, wie Hes sich von jeher der dunklen Magie verschrieben hatte. Diese Entwicklung ist leider zu einem nicht unbedeutenden Teil meine Schuld, was ich heute zum ersten Mal überhaupt einem anderen Menschen eingestehe…“
Der alte Magier fühlte, wie ihm einmal mehr das Herz schwer wurde und sah die traurigen, alten Bilder erneut vor sich. Derweil schaute Jok entsetzt auf seinen Gefährten, als sich seine bösen Ahnungen endgültig bestätigten.
Mit gedämpfter Stimme fuhr Quorus schließlich fort, und es war ihm anzumerken, wie schwer ihm jedes einzelne Wort über die Lippen kam.
„Ich wußte schon um Hes, seit sie überhaupt geboren war“, fing der traurige alte Mann zu erzählen an, „und ich habe sie aufwachsen sehen. Persönlichen Kontakt gewannen wir jedoch erst viel später, als sie bereits beinahe erwachsen war.“
Quorus seufzte einmal tief.
„In diesen Tagen war die Kraft in mir schon völlig ausgereift“, fuhr Quorus fort, „durch das Training mit meinem Mentor und durch seine Lehren. Ihm verdanke ich, was ich heute bin. Hes hatte davon gehört, daß sie bei mir viel über die Kraft und Magie des Lichtes lernen konnte, und sie kannte mich von meinen Besuchen in Lunien. Zu jener Zeit lebte mein Lehrer bereits nicht mehr, doch ich traute mir zu, die Ausbildung von Hes selbst in die Hand zu nehmen! Ich spürte ihr großes Potential der Kraft, das genutzt werden wollte und ich nahm sie bei mir auf.“
Der alte, lunische Magier zögerte abermals für einige Augenblicke, bevor er mit seiner gedämpften Stimme weitersprach.
„Hes war lunischen Ursprungs“, offenbarte Quorus bitter, „und ich wünschte immer noch, dir diese Wahrheit niemals offenlegen zu müssen. Doch du hast, im Gegenteil, sogar ein Recht darauf, sie zu erfahren, weil du zwar um diese Ereignisse vergessen hast, diese jedoch mehr mit dir zu tun haben, als du ahnen kannst. Gerade deshalb habe ich alles getan, damit du Hes in dieser Form niemals begegnen mußt…“
Jok sah den Freund verständnislos an.
„Quorus, ich verstehe gar nichts mehr“, bekannte der lunische König verwirrt. „Wovon sprichst du denn da eigentlich…?“
Der Magier antwortete tonlos.
„Ich spreche von einer Blutsverwandtschaft und der wahren Erbin des lunischen Thrones“, verkündete Quorus die traurige Wahrheit. „Und ich spreche vor allen Dingen über deine ältere, leibliche Schwester, Jok…“
Der lunische König fühlte sich wie vom Blitz getroffen und war zunächst völlig unfähig, auf irgendeine Weise zu reagieren.
Quorus verstand natürlich sehr gut, was jetzt in seinem schockierten Freund vor sich ging, als Jok endlich zu sprechen begann. Die Erschütterung stand ihm dabei allzu deutlich ins Gesicht geschrieben.
„Das ist nicht wahr, Quorus“, erwiderte Jok völlig entsetzt, „sag mir bitte, daß dies nicht wahr ist. Ich hatte eine ältere Schwester, doch sie ist in jungen Jahren gestorben, wie mein Vater mir erzählte. Ich habe sie nie wirklich kennengelernt, weil ich noch zu klein gewesen bin. Aber sie ist gestorben…“
Quorus schüttelte ernst den Kopf.
„Nein, Jok“, widersprach der Magier, „Hes war deine Schwester, und du änderst die Wahrheit auch nicht, indem du sie leugnest. Erforsche deine Gefühle und höre in dein Herz hinein, dann wirst du es erkennen.“
Quorus nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Wasserschlauch, den er um seinen Körper gebunden hatte. Doch der Beutel enthielt kein Wasser, sondern erfrischend, würziges Bier, das der alte Magier in seinem Hause stets selbst gebraut hatte.
Der Magier reichte den Schlauch an Jok weiter, der ihn wie mechanisch entgegen nahm, um daraus zu trinken. So spülte der König seinen ersten Schock einfach hinunter, während sein Gefährte wiederum das Wort ergriff.
„Versuche mit dieser Wahrheit fertig zu werden, Jok“, bat Quorus seinen Freund leise, „und laß mich dir dabei helfen, indem ich dir die Zusammenhänge erkläre. Dann wirst du alles im rechten Lichte erkennen und die Dinge verstehen. Ich weiß, daß dein Vater dir nie davon erzählt hat, und daß du selbst damals noch zu klein gewesen bist. Aber vielleicht, irgendwo in deinem Unterbewußtsein, existiert ja doch noch ein eigenes Bild deiner Schwester, und vielleicht wirst du sie am Ende doch wiedererkennen…“
Quorus gewährte sich eine weitere kurze Pause, bevor er ansetzte, von dem tragischen Schicksal zu erzählen, welches Hes widerfahren war.
„Deine Schwester war vierzehn Jahre älter als du, Jok“, erzählte der alte Magier, „und bereits in diesen jungen Jahren begann, sehr zum Leidwesen deines Vaters, die Kraft in ihr zu wirken. Hes war ganz anders als du, denn sie wollte immerzu mehr erfahren, sie wollte nutzen, was in ihr war. Doch dein Vater lehnte dies kategorisch ab, und du weißt selbst noch sehr gut, wie er alles, was mit der Kraft zu tun hatte, strikt ablehnte. Deshalb verbot er Hes, sich mit Kraft und Magie zu beschäftigen. Bei dir hatte diese Weisung später Erfolg, Jok. Nicht aber bei Hes, die sich gegen die Ansichten deines Vaters auflehnte. Dein Vater reagierte natürlich sehr verbittert und verstieß Hes, obgleich ihn deine Mutter noch angefleht hat, es nicht zu tun. Doch der alte König war erbarmungslos, seine Enttäuschung zu groß. Daraufhin ging Hes und kehrte nie wieder zurück. Sie kam zu mir und wurde meine Schülerin. Und so lebten und arbeiteten wir zusammen.“
Quorus seufzte wieder einmal tief.
„Dein Vater hat mir das sehr übel genommen, und es hat lange gedauert, bis er mir verziehen hat. In Wahrheit war es erst auf seinem Sterbebett, dort versöhnte er sich mit mir. Er gestand sich auch seine eigene Schuld ein, daß er Hes nie so hätte fortjagen dürfen. Doch zu dieser Zeit waren alle Bande längst unumkehrbar zerbrochen…“
Der traurige lunische Magier schaute schließlich vom Boden auf, und die Blicke beider Männer trafen sich endlich wieder.
„Die Einstellung deines Vaters war der Grund, daß ich auch vor diesem Zerwürfnis schon nicht mehr oft an seinem Hofe weilte“, gab Quorus seinem Gefährten zu verstehen. „Und danach wurde alles zunächst noch schlimmer, der Kontakt brach für lange Jahre gänzlich ab. Und so wurde euer Familienstammbaum neu geschrieben, dein Vater selbst hat damals alle Spuren gelöscht, welche an die Existenz deiner wahren Schwester erinnerten. Statt dessen wurde sie für tot erklärt, und alle Lunier akzeptierten diese Geschichte. Heute kann ich auch Joran ein wenig verstehen und seine Einstellung zumindest respektieren, auch, wenn sie einen großen Anteil an dem Unglück trug, das später über uns alle gekommen ist…“
Wieder einmal hielt der alte Magier kurz inne und Jok fühlte, wie schwer das Herz seines Freundes in diesem Moment war. Doch ihm selbst, der immer noch kaum glauben mochte,
was er hörte, erging es keinen Deut besser.
Quorus fuhr zu berichten fort.
„Wie auch immer“, sprach der alte Magier, „zuerst war Hes eine sehr gelehrige Schülerin, und sie reifte zu einer starken Persönlichkeit heran, während sie auch die Kraft zu nutzen lernte. So konnten wir die Tiefen der Kraft und des Lebens fortan gemeinsam erforschten. Und irgendwann erwuchsen daraus sogar noch tiefere Gefühle, die Liebe zwischen Mann und Frau erwachte in uns beiden wie die zarte Knospe einer Pflanze…“
Jok glaubte nun endgültig zu träumen, obgleich er dennoch nicht gänzlich überrascht schien. Irgendwie hatte er so etwas inzwischen doch geahnt gehabt. Der lunische König schwieg jedoch, so daß Quorus fortfahren konnte.
„Ja, Jok“, gestand der sich wehmütig erinnernde Magier ehrlich ein, „ich habe Hes damals sehr geliebt, und alles schien darauf hinzudeuten, daß aus uns ein Paar würde. Doch gerade dieser Gefühle wegen unterlief mir schließlich der entscheidende Fehler. Denn ich habe nicht verstanden, daß etwas in Hes noch stärker war als ihre Empfindungen zu mir. Es war ihr beständiges Streben nach immer neuem Wissen, das ich unterschätzt hatte, und welches ihr schließlich meine Kenntnisse nicht mehr vermitteln konnten. So suchte Hes nach anderen Wegen und scheute auch nicht davor zurück, sich mit der dunklen Seite zu befassen. Ich habe versucht, Hes davor zu warnen, doch in meinem eigenen sträflichen Leichtsinn habe ich die Gefahr nicht wirklich erkannt, ich habe sie nicht richtig ernst genommen. Und irgendwann war es plötzlich zu spät. Denn eines Tages teilte Hes mir mit, daß es Tor und die dunkle Seite waren, die Hes ergründen wollte, daß sie dort die Erfüllung für sich zu finden glaubte, die ihr das Licht nicht bieten könne. Und sie drängte mich, es ihr gleich zu tun, um die gemeinsame Vollendung der Macht zu erreichen. Ich aber weigerte mich und versuchte nun inständig sie von ihrem verhängnisvollen Plan abzubringen, da ich endlich zu begreifen begann, was mit Hes wirklich geschah.
Doch zur Umkehr war es bereits viel zu spät. Von da an hatten Hes und ich uns nichts mehr zu sagen, wir gerieten nur noch in Streit. Hes entschloß sich, mich zu verlassen und ihren eigenen Weg zu finden, der sie nach Norden führen sollte. Aus eigenem Antrieb wollte sie Tor aufsuchen, um bei ihm ihr Schicksal zu finden. Ich konnte sie nicht halten, was ich auch versuchte. Hes ging fort und kehrte niemals wieder zu mir zurück…“
Jok vermochte die Wahrheit um seine Schwester nicht länger zu leugnen oder zu verdrängen, er spürte, daß alles stimmte, was Quorus ihm erzählte. Seine innersten Gefühle bestätigten ihm die traurigen Tatsachen unmißverständlich.
Zum ersten Mal brach Jok sein tiefes Schweigen.
„Und was genau geschah dann“, fragte Jok mit erstickter Stimme, während ihm ein dicker Kloß im Halse zu stecken schien.
Quorus fuhr mit der traurigen Geschichte fort.
„Nun, Hes hat ihr Schicksal gefunden, wie wir wissen“, berichtete der alte Magier. „Etwa drei Jahre später ließ sie sich in dem damals unbewohnten Land Hesk nieder und baute, zunächst noch heimlich, ihr dunkles Reich auf. Tor hatte sie ganz zu seinem Werkzeug gemacht und in ein Wesen der Finsternis umgestaltet. Der Lohn waren große Macht und ein eigenes Reich, über das Hes dann allein regieren durfte. So verbreitete sie großen Schrecken und war fortan eine treue Verbündete von Tor. Die Begegnung mit mir vermied sie jedoch, bis zu dem Tage, da wir sie nun aufsuchten. Und so sehr ich den Schmerz auch verdrängt habe, ich wußte doch immer, daß der Tag kommen mußte, an dem wir uns als Feinde wieder gegenüberstehen…“
Quorus sah dem lunischen König voller Trauer und Bitterkeit in die Augen, während sich seine Erzählung dem Ende näherte.
„Ich entschied mich, diesen Weg alleine zu gehen“, erklärte Quorus seinem Freund, „um dir die schreckliche Begegnung zu ersparen. Und was deinen Vater anging, nach dem Weggang von Hes bin ich zu ihm gegangen und habe ihm von meinem Versagen und der Wandlung der Dinge erzählt, das war ich ihm schuldig. Der alte König war daraufhin tagelang nicht ansprechbar und zog sich endgültig völlig verbittert in sich selbst zurück. Dein Vater hat niemals wieder ein Wort gesprochen, bis zu seinem eigenen Todestag. Da erst ließ er mich zu sich rufen, um mir zu vergeben und auch seine eigene Schuld einzugestehen. Und er nahm mir das Versprechen ab, Hes aus ihrem dunklen Wahn zu erlösen, zu welchem Preis auch immer. Der alte Mann gab zu, daß er in Wahrheit niemals aufgehört hatte, seine Tochter zu lieben. Deshalb bat er mich auch, dir die Begegnung mit Hes zu ersparen, von der er wußte, daß sie sonst früher oder später auf irgendeine Art und Weise unweigerlich erfolgt wäre. Ich gab dem alten Mann beide Versprechen, und ich habe sie ihm und dir zuliebe am Ende eingehalten…“
Quorus war am Ende seines Berichtes angelangt, doch Jok reagierte nicht darauf. Er saß nur da und schwieg voller Trauer. Schließlich aber stand der lunische König auf und lief schweren Schrittes davon. Er wollte nur noch allein sein…
Die fünf Gnomen hatten den Thronsaal Tor´s wieder verlassen, und der dunkle Herrscher sann über die Neuigkeiten nach, welche sie überbracht hatten. Die dunkle Kraft erbebte heftig in dem unsichtbaren Regenten und mächtiger Zorn stieg in ihm auf. Dennoch war er nicht wirklich über den Verlauf der Dinge überrascht.
Tor begann, beschwichtigend zu sich selbst zu sprechen. Dabei ließ auch seine gedämpfte Stimme den Raum noch leicht erbeben.
„Hes und die Ponier haben versagt, und auch die Weissagung des Lichtes beginnt sich zu erfüllen“, grollte der dunkle Tyrann finster. „Trotz des Grabens, den ich einst selbst zwischen Lunien und Elbien gesetzt habe, hat die Vereinigung bereits begonnen. Die Zeichen der Zeit erfüllen sich nun, und es gibt nichts, das stark genug wäre, dies zu verhindern, nicht einmal durch all meine Macht…“
Der dunkle Herrscher schwieg kurz nachdenklich. Doch schließlich meldete sich seine triumphierend klingende Stimme zurück.
„Nun gut, so mögen die Dinge nun ihren vorbestimmten Lauf nehmen. Aber der Vorteil bleibt auf meiner Seite, denn im Gegensatz zu meinen Feinden kenne ich das ganze Geheimnis der Bestimmungen. Und am Ende werden diese nur einen Sieger sehen, nämlich mich! Dann soll endlich alle Macht mir gehören…“
Ein gewaltiges Gelächter begann auf einmal durch den Raum zu dröhnen und von allen Wänden wieder zu hallen. Einmal mehr erbebte der ganze dunkle Turm des Herrschers unter dessen Macht und dunkler Energie…